Der 21. Juli
hätte. Im Gegensatz zu seinem früheren Chef war er ein schlechter Schütze. Warum habe ich geschossen? Aus Angst, gestand er sich ein, aus Angst davor, nach Krause das nächste Opfer zu sein. Ihm fielen Episoden aus den Jahren ein, die er mit Werdin zusammengearbeitet hatte. Er war ein guter Chef gewesen, aber eben auch ein Verräter. Gottlieb konnte die Trauer nicht unterdrücken. Nicht für Krause, erstaunlicherweise, sondern wegen des Schicksals, das Schellenberg für Werdin vorbereitete.
Am folgenden Nachmittag versammelten sich die Offiziere der SS in der Gruft der Wewelsburg. Gottlieb wurde hinzubefohlen, es waren zwölf Sockel zu besetzen, und er füllte den letzten Platz. In der Mitte flackerte rot ein Feuer. Himmler hielt in beschwörendem Ton eine Ansprache. »Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu.« Die elf Zuhörer nickten ernst. Gottlieb fühlte sich unwohl. Er dachte an Krauses Tod und an Werdin, den er niedergeschossen hatte. Himmler strahlte Zuversicht aus, er hatte seinen Vertrag. Es fehlte nur noch die Zustimmung des Präsidiums der Kommunistischen Partei der
Sowjetunion. »Wir haben nie gezweifelt, dieser Tag musste kommen. Manche von uns fürchteten, Gots Zeichen zu übersehen. Ich habe es erkannt. Got befiehlt seinem Orden, in die Schlacht zu ziehen. Wie der große Hermann an diesem Ort vor fast zweitausend Jahren die Eindringlinge besiegte, so werden wir unsere Feinde niederwerfen.« Gottlieb verstand, es waren die Feinde in Deutschland und im Ausland gemeint. Nun sollte Schluss sein mit den ewigen Kompromissen, mit Goerdeler, Erhard und allen, die Schuld waren am Tod unseres Führers. Himmler zerschlug den großen Kompromiss vom 21. Juli 1944, die Nationale Versöhnung. An seine Stelle setzte er das Unternehmen Thor . Gottlieb fürchtete sich, es konnte einen Bürgerkrieg geben. Himmler fühlte sich stark, seit er sich mit den Russen zusammengetan hatte. Er glaubte offenbar, die Führung der Wehrmacht wenigstens neutralisieren zu können. Insgeheim aber schien er zu hoffen, sie auf seine Seite zu ziehen. Er hielt sie schon seit 1938 für Feiglinge, als die SS den Reichskriegsminister Blomberg und den Oberbefehlshaber des Heeres Fritsch durch Intrigen abserviert hatte. Und die Herren Generale haben sich geduckt. Nicht einmal am 20. Juli 1944 wollten sie mitmachen, jedenfalls nicht bevor die Putschisten gesiegt hatten mit Hilfe der SS. Gottlieb begriff, die Marschälle waren heute so feige wie gestern. Wenn es aber so war, wie sollte Goerdeler sich halten? Himmler würde ihn Stück für Stück verdrängen und dann zerquetschen.
Am Ende der Zusammenkunft zogen nachdenkliche SS-Offiziere, geleitet von ihrem Reichsführer, von der Gruft in den Innenhof der Burg. Nach einem gemütlichen Beisammensein wollte man zurückkehren nach Berlin und beginnen mit der Arbeit für ein neues Deutschland.
Als sie im Hof eingetroffen waren, deutete einer in den Himmel und rief: »Schauen Sie, dort!« Alle guckten nach oben. Ein vierstrahliges Flugzeug kreiste über ihnen. »Eine He 333!«, rief einer. »Unser neuester Bomber!«
»Großartig«, sagte Himmler. »Es ist, als wollte er uns Glück wünschen für unseren Kampf.«
Der Bomber schraubte sich tiefer.
»O Gott!«, rief Schellenberg. »O Gott!«
***
Zacher steuerte seinen Mercedes gemächlich in die Rummelsburger Straße. Er hatte im Luftfahrtministerium einige Gläser Cognac gekippt. Der neue Bomber war in Dienst gestellt worden. Die Heinkel He 333 hatte vier Turbinen und konnte viele Tonnen tragen. Sie war gepanzert, Kuppeln mit schweren Maschinengewehren schützten sie vor Angreifern. Die Heinkel war ein Monster aus Stahl, das trotz seines Gewichts fliegen konnte, und dies schneller als die meisten Jagdflugzeuge im letzten Krieg. Allerdings mussten die Start-und Landebahnen verlängert werden in den Flughäfen, wo der neue Typ stationiert werden sollte.
Zacher empfand keine Freude über das neue Flugzeug. Jeder Bomber, den er sah, erinnerte ihn an seinen Flug nach Minsk. Als er die He 333 zum ersten Mal gesehen hatte, sagte ihm eine innere Stimme, mit dieser Maschine hätte er die Bombe ohne Schleppflug ins Ziel befördert. Er wusste nicht, wie er sich dagegen wehren sollte, er dachte immer an diesen verdammten Flug, mit dem er Himmlers Vernichtungskrieg vollendet hatte.
Vor seinem Haus in der Rummelsburger Straße standen drei Personenwagen. Zacher fuhr den Mercedes in die Garage und stieg aus. Er wunderte sich, die Haustür stand
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