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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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zu.
     
    Cassandra klappte den Kofferraum zu und steckte den Schlüsselbund in die Tasche. Die Mädchen saßen bereits auf dem Rücksitz
     und warteten. Als Vera ihr mitgeteilt hatte, sie würden von einem Mann verfolgt, hatte Cassandra das nicht so ganz verstanden,
     aber sie hatte gespürt, dass Vera in dem Moment nicht näher darauf eingehen wollte. Cassandra sah auf die Uhr. Es mussten
     mehr als zehn Minuten vergangen sein, seit sie mit den Mädchen heruntergekommen war. Ana schlug fröhlich gegen die Handflächen
     ihrer Schwester, die mit gerunzelter Stirn zu Cass herüberstarrte. Wo blieb ihre Mutter? Cass ging noch einmal in das Motel
     hinein. Sie spürte, wie der Mann am Empfang sie beim Hereinkommen aus dem Augenwinkel musterte.
    »Checken Sie schon aus?«, fragte er.
    Im ersten Stock stellte Cassandra überrascht fest, dass die Zimmertür zu war und der Schlüssel steckte. Sie drehte den Knauf,
     aber es war abgesperrt. Also drehte sie den Schlüssel zweimal im Schloss und trat ein.
    »Vera?«
    Sie sah sich um. Niemand da. Im Bad auch nicht. Wo war ihre Freundin? Cassandra beschloss, zum Wagen zurückzukehren und zu
     warten. Wenn Vera in zehn Minuten nicht zurück war, würde sie versuchen, sich mittels der Schreibtafel mit dem Mann an der
     Rezeption zu verständigen.
    Kaum hatte sie den Fuß auf die erste Treppenstufe gesetzt, fuhr Cassandra herum. Sie glaubte, etwas gehört zu haben, etwas,
     das aus unendlicher Ferne an ihr Ohr drang. Sie wusste, dass das eigentlich noch nicht sein konnte, aber   … Sie ging noch einmal die Treppe hoch, und da sah sie es. Vor einer der hinteren Türen lag ein kleines Stofftier auf dem
     Boden, ein blaues Pferd mit zwei Flügelchen auf dem Rücken.
    Cassandra ging hin und hob es auf. Sie hatte dieses Stoffpferd schon mal gesehen, Ana hatte es im Arm gehalten. Sie schloss
     die Augen. Sie wusste, dass sie die Tür, vor der das Pferdchen gelegen hatte, öffnen musste. Langsam drehte sie den Türknauf.
    Im Gegenlicht sah sie einen Mann, der über eine Frau am Boden gebeugt war. Mit rudernden Armen versucht diese, sich aus dem
     Würgegriff des Mannes zu befreien. Cassandra wäre am liebsten davongelaufen. Doch dann nahm sie ihren Mut zusammen und ging
     noch ein paar Schritte weiter.
    Vera starrte sie an, ihre Kräfte schienen bereits zu schwinden, sie röchelte. Geistesgegenwärtig packte Cassandra die massive
     Stehlampe, die in der Ecke stand, mit beiden Händen. Es gelang ihr, sie hochzustemmen.
    Cassandra wollte schon zuschlagen, da ließ der Mann plötzlich von seinem Opfer ab und drehte sich erstaunt um. Cassandra hielt
     wie versteinert inne. Sie kannte den Mann, den sie vor sich sah. Er hatte lediglich ein paar Narben mehr als früher und einen
     irren Blick. Er stürzte sich auf sie. Instinktiv hob Cassandra die Lampe und ließ sie mit aller Kraft auf ihn niedersausen.
     Es klang, als würde ein Ast brechen. Der Angreifer sank zu Boden. Cassandra wollte schreien, doch Vera, die sich inzwischen
     vom Boden erhoben hatte, legte ihr die Hand auf den Mund. Dann fasste sie ihre Freundin am Arm und zog sie aus dem Zimmer.
    »Ich hab das nicht gewollt   … O Gott!« Cassandra hörte nicht auf zu wimmern, während sie zum Auto rannten, und sah sich immer wieder um. »Warum hast du
     mir nicht gesagt, dass
er
das war?«
    Vera antwortete nicht. Später würde sie es ihr erklären. Sie hielt sich den Zeigefinger an die Lippen, und die beiden Frauen
     stiegen ein.
    »Wo wart ihr?«, fragte Clara.
    »Schnallt euch an«, sagte Vera, während sie den Zündschlüssel im Schloss drehte und versuchte, den Motor anzulassen. Er sprang
     nicht an. »Komm schon, verdammt, mach endlich!«
    Cassandra stöhnte auf, lauschte dem Röcheln des Motors, dermühsam zum Leben erwachte. Vera sah mit panischer Angst, wie die Eingangstür sich öffnete, er kam herausgerannt. Der Motor
     heulte auf. Vera wartete keine Sekunde. Sie legte den Rückwärtsgang ein und lenkte den Wagen, so schnell sie konnte, vom Parkplatz.
     Dann trat sie aufs Gas, und das Auto schoss auf die Autobahnauffahrt. Sie sah in den Rückspiegel. Da stand er. Offenbar hatte
     er sich entschieden, sie nicht zu verfolgen. Vera kam sein irrer Gesichtsausdruck in den Sinn, als er versucht hatte, sie
     zu erwürgen. Er hatte sich Zeit gelassen, hatte ganz langsam den Druck auf ihren zarten Hals erhöht, als wollte er nichts
     überstürzen. Und jetzt stand er da und sah ihnen nach. »Wieso läufst du noch fort? Früher oder

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