Der 26. Stock
Leben geführt hatte. Beide hatten zu Studienzeiten Theater gespielt, und wahrscheinlich
hatte keiner von beiden die Absicht gehabt, lange in derFirma zu bleiben. Sie hatten vermutlich nur ein wenig Geld sparen und danach ins Ausland gehen wollen. Aber dann waren sie
doch geblieben, und zwischen ihnen war eine Art Freundschaft entstanden. Und jetzt machte Hugo sich Sorgen, und Isabel dachte,
dass sie ihm alles hätte erzählen sollen. Sie seufzte. Das würde sie auch noch, aber später, wenn sie nicht mehr so müde war,
nach dem Aufwachen …
Fast eine Stunde später spürte sie etwas in den Haaren. Es war angenehm, und sie schmiegte sich noch tiefer in die Laken.
»Isa …«
Langsam tauchte sie aus dem Schlaf auf, wobei sie die Augen noch nicht aufschlagen wollte, sie hatte doch das Gefühl, dass
alles nicht mehr ganz so in Ordnung sein würde, wenn sie vollends aufwachte.
»Wach auf, komm schon.«
Sie öffnete die Augen. Teo lächelte ihr im Halbdunkel des Zimmers entgegen und strich ihr dabei übers Haar. Sie lächelte zurück
und gähnte.
»Herzlichen Glückwunsch, Bruderherz.«
»Schau mal, was sie mir bei der Arbeit geschenkt haben«, sagte er aufgeregt und streckte Isabel eine Plastiktüte hin.
Sie richtete sich im Bett auf. In der Tüte befand sich ein seltsamer schwarzer Plastikzylinder. Sie drehte ihn hin und her,
um ihn zu begutachten. Die beiden Enden waren aus Glas. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so einen Gegenstand gesehen
zu haben.
»Was ist das?«
Ihr Bruder lachte.
»Weißt du das nicht? Bestimmt hast du schon mal eins gesehen. Überleg mal.«
Isabel schüttelte den Kopf. Teo stand auf und schaltete das Licht an; es brannte Isabel ein wenig in den Augen. Er nahm den
Gegenstand und hielt ihn sich vor ein Auge. Das andere kniff er zu und drehte dabei den zylinderförmigen Körper. Dann reichte
er ihn Isabel.
»Schau hier durch. Schau zu mir.«
»Ist das ein Kaleidoskop?«, fragte sie, obwohl es ihr dafür zu schwer vorkam.
»Nein!«
Teo genoss es sichtlich, sie im Unklaren zu lassen. Isabel nahm den Gegenstand und blickte hindurch. Am anderen Ende sah sie
die weiße Zimmerwand in einem rechteckigen Rahmen.
»Schau zu mir herüber.«
Sie wandte den Blick zu ihm, und da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
»Das ist so ein Ding für Filmregisseure, damit sie sich vorstellen können, wie die Szenen werden!«
Teo nickte. Er strahlte über das ganze Gesicht. Isabel stand auf.
»Was hättest du gern zum Abendessen?«
»Sandwichs!«
»Mit Salat, Thunfisch und Mayonnaise?«
»Jaaa!« Teo begann ausgelassen auf seinem linken Bein zu hüpfen. »Und danach machen wir uns Popcorn und gucken einen Film!«
Obwohl Isabel noch immer müde und von den merkwürdigen Ereignissen der letzten Tage verwirrt war, erklärte sie sich einverstanden.
Eines der Dinge, die sie an ihrem Bruder am meisten schätzte, war diese ehrliche, kindliche Freude, mit der er noch die gewöhnlichsten
Dinge begrüßte. Er hatte sich nie aufgeführt wie ein mit allem und jedem im Clinch liegender Teenager und auch nicht die Welt
dafür gehasst, dass er nicht so war wie alle anderen Jugendlichen in seinem Alter. Vielleicht, weil er alles zu haben schien,
bis auf die Eltern.
»Auf jeden Fall müssen wir bald schlafen gehen, morgen gehen wir nämlich in den Zoo.«
»In den Zoo? Toll!«
Isabel ging in die Küche, um zwei Riesensandwichs zu belegen, während Teo ihr erzählte, wie es bei der Arbeit und in der Schule
gewesen war. Der Freitagabend war immer etwas Besonderes, denn unter der Woche blieb ihnen nie genug Zeit, um sich inRuhe zu unterhalten. Isabel machte in der Mikrowelle Popcorn, goss zwei große Gläser Limo ein und stellte alles auf ein Tablett,
um es ins Wohnzimmer zu bringen.
»Was sollen wir uns anschauen?«, fragte sie, während ihr Bruder sich aufs Sofa plumpsen ließ. Mit einer drolligen Ernsthaftigkeit
eines Intellektuellen, der vor einer wichtigen Frage für seine nächste Publikation steht, kratzte er sich am Kinn und riss
dann die Augen sperrangelweit auf:
»Einen Horrorstreifen!«
Glucksend vor Vergnügen, sprang er auf, zog eine DVD aus dem Regal und reichte sie seiner Schwester, worauf er sich wieder
in das kuschelige Sofa sinken ließ. Obwohl es Isabel wirklich nicht der beste Moment für einen solchen Film schien, legte
sie klaglos den Film ein und schaltete das Licht aus.
Vierzig Minuten später sank Teo in den Schlaf, den Kopf
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