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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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auch nur eine Spur distanzierter zu wirken. »Aber wenn du etwas brauchst, ruf mich an.«
    Dann wandte er sich zum Gehen. Er hob die Hand zum Gruß und ging zum hinteren Teil des Parkplatzes, wo Isabel ihn aus den
     Augen verlor.
    Als sie ihren Ford in den Verkehr einreihte, bekam sie wegen ihres Verhaltens gegenüber Carlos ein schlechtes Gewissen. Er
     hatte sie nicht zum Reden gedrängt. Stattdessen hatte er nur gelächelt und sie wissen lassen, dass er da war, falls sie ihn
     brauchte.Seine Art gefiel ihr, und sie hoffte inständig, ihn nicht zu sehr brüskiert zu haben.
    Sie musste die Scheinwerfer einschalten, da Nebel aufkam. Ihr Blick blieb kurz an dem riesigen Zoo-Plakat am rechten Straßenrand
     hängen und plötzlich fiel es ihr siedend heiß ein. Das hatte sie ja völlig verschwitzt! So etwas war ihr noch nie passiert.
     Sie hatte Teos Geburtstag vergessen! Anfang der Woche hatte sie sich vorgenommen, ihren Bruder nach einem guten Frühstück
     mit einem Ausflug in den Zoo zu überraschen. Ihr letzter Besuch lag über ein Jahr zurück, und Teo würde von dem neuen Reptilienhaus
     bestimmt begeistert sein. Aber sie hatte ihm ja auch noch eine DVD kaufen wollen! Etwa zehn Minuten von zu Hause entfernt
     nahm sie deshalb die erste Abfahrt und steuerte von neuem die Innenstadt an.

7
    Sie brauchte viel länger, als sie gedacht hatte, um einen Parkplatz zu finden. Es kam selten vor, dass sie am Freitagabend nicht direkt nach
     Hause fuhr. Hin und wieder war sie mit den Kollegen etwas trinken gegangen, um ein erfolgreiches Meeting zu feiern, aber das
     hatte immer im Geschäftsviertel stattgefunden. Madrid pulsierte, die Metropole hatte in den letzten Jahren eine wahre Bevölkerungsexplosion
     erlebt. Riesige Menschenströme wälzten sich durch die Straßen.
    Schließlich ergatterte sie einen der letzten freien Stellplätze auf dem untersten Parkdeck eines großen Einkaufszentrums.
    Im ersten Untergeschoss führte eine riesige, spiegelblanke Glastür in das grell erleuchtete Kaufhaus. Auf einem kleinen Plan
     an der Wand suchte Isabel nach der Multimedia-Abteilung. Da sie aus den vielen Pfeilen und Kreisen nicht schlau wurde, wandte
     sie sich schließlich an einen jungen Mann, den sein roter Kittel als Verkäufer auswies.
    »Ist ganz einfach. Sie brauchen nur der blauen Linie am Boden zu folgen. Sehen Sie?«
    Der junge Mann zeigte auf eine Reihe von Linien in verschiedenen Farben, die sich zwischen den Schuhen der unzähligen Kunden
     verloren, die sich in den Gängen drängten.
    Isabel versuchte den hinteren Teil des Stockwerks auszumachen, wohin die blaue Linie sie angeblich führen sollte, doch die
     Regalreihen und Kosmetikvitrinen, um die sich Dutzende von Kundinnen tummelten, verstellten ihr die Sicht. Widerwillig reihte
     Isabel sich in den Menschenstrom ein und konzentrierte sich auf den blauen Strich zu ihren Füßen und noch etwas weiter,bis zu dem Mädchen im rosa Kleid, das von der Mutter mitgezerrt wurde und mit abwesender Miene auf den Lutscher in seiner
     Hand starrte. An einem Quergang bogen die Mutter und das Kind mit dem Lutscher ab. Isabel wurde es langsam heiß, und sie fragte
     sich, wie einem bei all dem Parfümduft in der Abteilung die Luft zum Atmen nicht zu knapp wurde, als die Kleine plötzlich
     den Blick von ihrem Lutscher hob und sich nach Isabel umsah. Einen Moment lang hielten Isabel und das Mädchen Blickkontakt,
     dann nahm ein Mann in einem grauen Mantel ihr kurz die Sicht und das Kind verschwand zwischen den Kunden, die in denselben
     Gang drängten. Und da spürte Isabel es zum ersten Mal. Es war ein seltsames Gefühl. Sie erinnerte sich, es vor langer Zeit
     schon einmal gehabt zu haben. Es hielt nicht lange an, war kaum mehr als ein Schauder. Die alte Frau, die hinter ihr ging,
     stieß sie vorwärts, und Isabel stolperte. Sie sah zu Boden und stellte fest, dass sie die blaue Linie aus den Augen verloren
     hatte. Mit einem Stechen in der Magengrube drängte sie, so rasch sie konnte, zur nächstgelegenen Vitrine, wo sie sich gegen
     eine Scheibe stützte, hinter der Dutzende von Lippenstiften in diversen Farbtönen als Sonderangebote lagen.
    »Geht es Ihnen nicht gut?«
    Eine Verkäuferin war neben Isabel getreten. Aus ihrem Dekolleté stieg ein schweres Parfüm auf. Isabel schüttelte den Kopf,
     obwohl ihr in Wirklichkeit hundeelend war, aber sie wollte nicht, dass die Kundinnen an dem Verkaufstresen sie weiter anstarrten.
     Mit Mühe fragte sie nach der Musikabteilung

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