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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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Ich wollte dich noch fragen,
     ob du einverstanden bist   …«
    Isabel zögerte einen Moment, doch dann entschied sie sich, und keine weiteren Einwände zu erheben. Sie hatte nur beiläufig
     erwähnt, dass ihr Bruder sich für Kino interessierte und sich eine Kamera wünschte, und Carlos hatte ihm den Wunsch erfüllt.
     Jetzt drehte er sich zum Fenster und sah Teo lächelnd zu, der ganz außer sich vor Freude war. Isabel fand es wundervoll, und
     mit einem Mal waren ihre Sorgen Tausende von Kilometern weit weg.
    Den Nachmittag verbrachten sie dann damit, durch die Bereiche des Zoos zu schlendern, die sie noch nicht gesehen hatten. Teo
     lief hierhin und dorthin und nahm alles auf, während Isabel und Carlos sich unterhielten. Sie sprachen über Filme, über Bücher,
     über Zukunftspläne. Isabel vertraute ihm an, wie schwer sie es zeitweise gehabt hatte. Sie hatte immer geglaubt, in Madrid
     würden sich ihr viele Möglichkeiten eröffnen, doch dann hatte sie feststellen müssen, dass man sich in dieser Stadt auch sehr
     allein fühlen konnte. Ja, sie hatte ihren Bruder, aber er war ihr einziger Verwandter, und sie sah ihn sowieso fast nur am
     Wochenende und ein Weilchen am Abend, wenn sie nicht zu müde war und aufblieb, bis er von seiner Putzschicht zurückkam.
    »Bei der Arbeit«, sagte Isabel, während sie zum rötlichen Himmel sah, an dem die Sonne allmählich unterging, »kann man wenigstens
     mit jemandem reden. Die Kollegen fragen schon, wie es einem geht, obwohl sie das vielleicht gar nicht interessiert. Aber die
     Fahrten zur Arbeit und nach Hause, die sind das Schlimmste. Da ist man fast immer allein, und man verliert so viel Zeit. Im
     Alltag merkt man’s kaum, aber wenn man das mal zusammenrechnet   …«
    »Stimmt«, sagte Carlos. »Es ist, als ob einem die Stadt einen Teil des Lebens klauen würde. Ich kenne das nicht anders. Ich
     habe schon immer hier gelebt. Keine Ahnung, wenn mir jemand diese verlorenen Stunden zurückgeben würde und ich könnte damit
     machen, was ich will, dann wäre mir vielleicht sogar langweilig. Ich weiß nicht   …«
    In diesem Moment verkündete eine Frauenstimme über Lautsprecher, der Zoo werde gleich schließen, und die drei machten sich
     auf den Weg zum Ausgang.
    Isabel ließ den Motor an und schaltete das Radio ein. Anscheinend herrschte an verschiedenen Stellen Stau. Sie mussten durch
     die Innenstadt fahren.
    Nach einer Weile drehte sich Carlos zum Rücksitz um, wo Teo in einer Ecke eingenickt war. Die Kamera hielt er noch im Arm
     wie einen Teddybär. Er hatte mit seinem Geschenk ins Schwarze getroffen. Auf den Straßen des Zentrums waren Hunderte von Menschen
     zu sehen, vor allem junge Leute, die im Kneipenviertel einen draufmachen wollten. Carlos wäre liebend gerne noch etwas trinken
     gegangen; er hatte es schon lange nicht mehr erlebt, dass er mit jemandem einfach reden wollte, egal worüber   … Und wenn es das banalste Thema gewesen wäre, es hätte ihm nichts ausgemacht. Doch gleich würde er sich von Isabel verabschieden
     müssen. Sie würden zu ihr fahren, und sie würde natürlich bei ihrem Bruder zu Hause bleiben: Schließlich hatte er Geburtstag.
     Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass ihnen beiden noch viele Tage blieben. Aber war das wirklich so? Er sah Isabel an.
     Sie schien sich wohl zu fühlen, aber er hatte auch den Eindruck, dass sie ihm einen wesentlichen Teil ihrer Sorgen verschwiegen
     hatte. Was ging in dem Büroturm vor? Er hoffte, dass es nicht das war, was er befürchtete. Für einen flüchtigen Augenblick
     drehte sie sich zu ihm, blinzelte überrascht, als sie seinen Blick sah, lächelte ihm zu und wandte dann ihre Aufmerksamkeit
     wieder dem Verkehr zu.
    Sie wechselten kaum ein Wort, bis sie bei Isabel angekommen waren. Wie so oft war ihr Parkplatz besetzt. Sie suchte sich einen
     anderen und stellte den Motor ab. Dann sah sie sich nach Teo um. Er schlief tief und fest.
    »Weißt du«, sagte sie, »manchmal frage ich mich, wie es wohl ist, Kinder zu haben. Oft habe ich das Gefühl, als wäre ich schon
     Mutter.«
    »Ist das schwer für dich?«, fragte Carlos leise.
    »Ich weiß nicht. Manchmal ja, wobei, früher war es schlimmer. Vor allem nach dem Tod unserer Mutter. Ich musste Teo beibringen,
     wie er selbst ein Stück weit klarkommen konnte. Jetzt hat er ja einen Job und so, aber trotzdem   … ich weiß, dass ich nicht ohne ihn leben kann. Und ihm geht’s wohl umgekehrt genauso. Na ja   …«
    Isabel stieg aus

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