Der 26. Stock
Augen auf.
»Kommt er mit in den Zoo?«
Isabel schüttelte verwundert den Kopf.
»Nein, wieso sollte er? Und außerdem hat er bestimmt was anderes vor.« Sie fasste sich ein Herz. »Würdest du denn wollen,
dass er mitkommt?«
»Ja, der ist nämlich nett.«
»Aber du kennst ihn doch gar nicht!«
Teo zog die Badezimmertür zu und drehte erneut das Wasser auf.
»Trotzdem, der ist nett!«, rief er.
Isabel lachte. Dann zog sie ihren Mantel an und eilte die Treppen hinunter. An der Haustür konnte sie durch die Scheibe hindurch
schon Carlos’ Lächeln sehen. Er empfing sie immer mit einem Lächeln – ehrlich, von innen heraus. Er trug Jeans und eine Sportjacke.
Es war das erste Mal, dass Isabel ihn nicht im Businessanzug sah.
»Guten Morgen. Na, wie geht’s deinem Bruder? Hat ihm der Kuchen geschmeckt?«
»Ja«, antwortete Isabel, nachdem sie ihn zur Begrüßung schnell auf die Wangen geküsst hatte. »Obwohl ich den ganz schnell
backen musste, damit er noch kalt wird. Gestern Nacht war ich zu müde, da wollte ich nur noch schlafen.«
Die Fahrt auf dem Motorrad genoss Isabel genauso wie beim letzten Mal. Es war ein herrlicher Tag. Der Nebel, der tagelang
über der Stadt gelegen hatte, war verflogen. Wie ein kleines Mädchen hatte sie plötzlich das Gefühl, dass bei diesem Sonnenschein
alles wieder in Ordnung kommen würde.
Carlos setzte sie direkt an ihrem Wagen ab. Als sie den Helm abnahm und ihn seinem Besitzer zurückgab, ging ihr durch den
Sinn, dass sie keine Gelegenheit gehabt hatte, mit Carlos zu reden, und dabei wollte sie das doch so gerne.
»Na dann«, sagte er, »ich hoffe, ihr habt einen tollen Tag im Zoo.«
Isabel zögerte kurz, während sie den alten Ford aufsperrte, aber dann gab sie sich einen Ruck. Es war einen Versuch wert.
»Sag mal, was du da in der Stadt zu erledigen hast, dauert das lange?«
Carlos überlegte einen Augenblick. »Nein, eigentlich nicht. Ich muss irgendwann zur Post, und wo du schon ins Zentrum wolltest,
dachte ich eben … ist doch eine Gelegenheit.«
Isabel konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als Carlos auf den Boden sah, als wäre ihm die Sache peinlich. Es war eigenartig,
einen erwachsenen Mann so zu sehen. Doch seine Schüchternheit half Isabel, ihre eigene zu überwinden.
»Warum kommst du nicht mit uns in den Zoo?«
Zweifelnd sah Carlos auf, und Isabel bemerkte, dass sich seine Wangen leicht röteten.
»Weiß nicht, dein Bruder wird doch den Tag mit dir verbringen wollen. Nein, ich möchte nicht ….«
»Ach was«, fiel sie ihm ins Wort. »Außerdem war das sogar Teos Idee. Wir könnten mit meinem Auto fahren.«
Mit einem breiten Lächeln sagte Carlos schließlich zu, und sie verabredeten sich für eine Stunde später vor Isabels Haus.
Dann stieg Isabel in ihren Ford und sah zu, wie Carlos den Helm aufsetzte, die Maschine anließ und sich mit einem Hupen von
ihr verabschiedete. Sie mochte ihn. Sehr sogar. Sie wusste nicht, wann das angefangen hatte, aber sehr wohl, wann sie begonnen
hatte, sich dieses Gefühl einzugestehen. Das war, als Carlos zu Boden gesehen hatte.
Als sie in die Wohnung kam, saß Teo im Bademantel vor dem Fernseher und sah sich das Musical an, sprang jedoch sofort auf
und rannte in sein Zimmer, wie ein kleiner Junge, der sich bei etwas ertappt sieht. Dass Carlos nun doch mitkommen würde,
freute ihn sichtlich. Er verzog nur das Gesicht, als er hörte, dass er nicht mit dem Motorrad fahren würde. Isabel musste
ihm versprechen, Carlos zu bitten, dass er ihn mal auf seinem glänzenden Chopper spazieren fuhr.
»Aber jetzt lass dich erstmal ordentlich kämmen, Kleiner, damit wir loskönnen.«
9
»Und seitdem hat Vera kein Lebenszeichen von sich gegeben.« Isabel trank einen Schluck von ihrer Cola.
Das Zoo-Restaurant war fast leer. Anscheinend hatten wegen des Nebels der letzten Tage nur wenige für den Samstag einen Besuch
im Tierpark geplant. Teo hatte sein Essen heruntergeschlungen und lief schon wieder draußen herum. Carlos und Isabel konnten
durch die Glasfront hindurch sehen, wie er entzückt das Giraffenpaar betrachtete.
»Das ist wirklich komisch«, meinte Carlos nachdenklich. »Vielleicht solltest du ihren Rat befolgen und kündigen.«
Isabel richtete sich auf. Ihr gefiel der Gedanke nicht, ihre Stelle einfach so aufzugeben, und außerdem hätte sie sich das
gar nicht leisten können. Sie musste für ihren Bruder sorgen, und nur weil komische Dinge geschahen
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