Der 26. Stock
verfärbte Visitenkarte.
»Hier ist meine Telefonnummer, falls Ihnen noch etwas einfällt.« Er machte eine Pause, bevor er weitersprach. »Sie können
mich zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen, ich leide sowieso unter Schlaflosigkeit. Passen Sie gut auf sich auf.«
Er wandte sich zum Gehen, als Isabel noch etwas in den Sinn kam.
»Warten Sie.«
Der Polizist drehte sich auf dem Absatz um, mit einer Gewandtheit, die Isabel einem Mann von seiner Konstitution gar nicht
zugetraut hätte.
»Ja? Ist Ihnen schon etwas eingefallen?«
»Ich habe keine Telefonnummer oder Adresse von Carlos’ Eltern. Könnten Sie seine Familie ausfindig machen?«
Inspektor Márquez hob eine Augenbraue. »Das wird wohl nicht möglich sein, Señorita Alvarado.«
»Wie meinen Sie das?« Isabel erhob sich von ihrem Stuhl. »Ich bitte Sie doch nur um einen Gefallen. Wenn ich könnte, würde
ich es selber tun.«
»Nein, das ist es nicht«, unterbrach er sie. »Ich kann Señor Visottis Eltern nicht benachrichtigen … weil sie tot sind.«
Einige Augenblicke lang brachte Isabel kein Wort heraus.
»Aber das kann nicht sein!«, rief sie schließlich. Er war doch erst kürzlich bei ihnen!«
»Hat er gesagt, sie seien noch am Leben? Hat er Ihnen von seinen Eltern erzählt?«
»Nein, das nicht«, gab Isabel zu und schluckte. »Was ist ihnen passiert?«
Der Polizeibeamte zuckte die Achseln. »Ich fürchte, das wird Ihr Freund Ihnen erzählen müssen, wenn er aus dem Koma erwacht.
Wenn er bisher nicht mit Ihnen darüber gesprochen hat, wird er seine Gründe haben. Soweit meine Informationen richtig sind,
kann ich nachvollziehen, dass er das nicht wollte.« Er streckte Isabel die Hand hin. »Also, wenn Sie mich entschuldigen, ich
muss dann weiter. Wie gesagt: Wenn Ihnen etwas einfällt, rufen Sie mich an.«
Isabel blieb alleine im Wartezimmer zurück, während der Inspektor über den Korridor Richtung Aufzug verschwand. Plötzlich
überlief sie ein Schauer. Schnell kehrte sie in das Krankenzimmer zurück. Hugo saß in dem Sessel, auf dem sie vorher gesessen
hatte. Als sie eintrat, stand er auf.
»Und, wie war’s?«
Isabel schilderte ihm kurz das Gespräch, zog es jedoch vor, die Sache mit Carlos’ Eltern unerwähnt zu lassen. Dann trat sie
an den Sessel, in dem ihr Bruder schlief, und strich ihm über das Haar. Teo rekelte sich und brummte schlaftrunken vor sich
hin.
»Ich glaube, ich gehe jetzt mal«, sagte Hugo. »Soll ich dich irgendwohin bringen oder bleibst du noch?«
Da schlug Teo die Augen auf und rieb sich das Gesicht.
»Ich bleibe noch eine Weile, aber du könntest mir einen Gefallen tun und Teo nach Hause fahren.«
»Aber klar doch.«
»Wie viel Uhr ist es?«, fragte Teo und gähnte herzhaft.
»Fast fünf Uhr früh, mein Junge«, gab Hugo zurück. »Kennstdu mich noch? Ich bin Hugo, ich arbeite in derselben Firma wie deine Schwester.«
Teo nickte langsam, aber wie er das tat, ließ Isabel vermuten, dass er schwindelte.
»Hugo fährt dich jetzt nach Hause, okay? Du musst ins Bett.«
»Nein!« Teo schlug sich auf den Mund, als er merkte, dass er zu laut gerufen hatte. »Nein, ich bleibe hier bei dir«, flüsterte
er dann.
»Na komm schon«, sagte Hugo und trat zu ihm. »Willst du nicht lieber in deinem Bett schlafen?«
»Außerdem hast du nach dem Zoo gar nichts zu Abend gegessen, du musst doch Hunger haben«, sagte Isabel.
Teo schüttelte wild den Kopf. »Das ist mir egal. Ich geh nicht heim.«
Isabel wusste, dass es unter diesen Umständen schwierig sein würde, ihn umzustimmen, und sie war zu erledigt, um es zu versuchen.
Teo war ein echter Dickschädel. Sie bedankte sich bei Hugo, der ihnen, bevor er ging, in der Krankenhaus-Cafeteria, schnell
noch etwas zu essen holte. Kaum war er weg, ließ Isabel sich in den Sessel fallen. Sie nahm einen Schluck von dem Milchkaffee
und warf einen lustlosen Blick auf das eingeschweißte Kuchenstück, das Hugo ihr mitgebracht hatte. Teo verschlang seines gierig
und schlief dann wieder ein. Isabel sah Carlos an. Was hatte Hugo vor dem Gehen gesagt? »Wir sehen uns am Montag in der Arbeit.«
Hatte nicht Carlos etwas ganz Ähnliches gesagt und dann …? Während ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, nickte sie ein.
12
Vera warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Gerade mal zwanzig Minuten hatte sie schlafen können. Ihre beiden Töchter schlummerten in dem anderen
Bett. Sie erhob sich im Halbdunkel des Zimmers. Sie hatte sich nicht
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