Der 26. Stock
Krankenhausbett,
sie an seiner Seite, traurig und voller Ahnungen, die sich ganz allmählich in Ängste verwandelten. Hätten sie das früher gewusst,
so hätte sie sich vielleicht füreinen anderen Bewerber entschieden. Oder er hätte vielleicht schon damals versucht, sie besser kennenzulernen. Alles wäre
recht gewesen, wenn er jetzt nur nicht hier liegen müsste. Da klopfte es an der Tür. Isabel drehte sich um. Dabei ließ sie
unwillkürlich Carlos’ Hand los.
»Ja?«
Herein kam Hugo mit zerzaustem Haar und zum ersten Mal, seit Isabel ihn kannte, ohne seine Pfeife.
»Gott, Isabel, was ist passiert?«
Wieder ergriff sie die Hand, die sie gerade losgelassen hatte. Sie würde zu ihren Gefühlen stehen. Irgendwie hatte sie das
komische Gefühl, dass Carlos sie spüren konnte.
»Das ist Carlos«, sagte sie mit einem Kopfnicken. »Er arbeitet auch im Büroturm, ein paar Stockwerke höher als wir.«
»Ja, ich weiß.«
Isabel hob erstaunt die Augenbrauen, doch Hugo schien es nicht zu bemerken.
»Als ich dich vorhin am Telefon aufschreien hörte, bin ich furchtbar erschrocken. Ich dachte, jemand sei bei dir eingebrochen
oder so. Dann hast du zu deinem Bruder gesagt, er soll einen Krankenwagen rufen, und dann hast du immer wieder Carlos beim
Namen gerufen. Ich habe es mehrmals bei dir auf dem Festnetz versucht und dann habe ich angefangen, die Krankenhäuser in der
näheren Umgebung abzutelefonieren. Vor knapp einer Stunde habe ich schließlich rausgefunden, dass hier ein Carlos eingeliefert
wurde, in Begleitung einer jungen Frau. War ganz schön schwer, dich zu finden.« Hugos Blick fiel auf Teo. »Ach, unser Geburtstagskind
ist ja auch da.«
»Ja. Er wollte nicht allein zu Hause bleiben.«
Hugo sah auf Carlos hinunter, der regungslos in seinen weißen Laken lag.
»Was … was … wie geht es ihm?«
Isabel ging mit ihrem Arbeitskollegen ins Stationswartezimmer. Zu der frühen Morgenstunde war dort kein Mensch. Sie nahmen
auf zwei blauen Plastikstühlen Platz, und dann erzähltesie ihm, was geschehen war. Hugo hörte mit gesenktem Kopf zu und nickte hin und wieder. Als sie fertig war, zog Hugo seine
Pfeife aus einer Tasche seines Cordjacketts und drehte sie ein paarmal in der Hand hin und her.
»Hast du irgendeine Ahnung, wer das getan haben kann?«
Isabel schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht für paranoid oder verrückt gehalten werden. Hugo sah sie an.
»Glaubst du, dass …?«
Auch er schien nicht sicher zu sein, ob er wirklich fragen sollte. Da entschloss Isabel sich doch zu reden.
»Ob ich glaube, dass die Sache etwas mit Albertos und Veras Verschwinden zu tun hat? Ich weiß nicht … kann schon sein.«
»Ich habe nicht nur das gemeint«, sagte Hugo.
»Wie meinst du das?«
»Also, ich weiß nicht, ob dir das aufgefallen ist, aber in der Firma ist irgendetwas Seltsames im Gang.« Isabel nickte, ohne
ihn zu unterbrechen. »Als Erstes ist da die Sache mit Alberto. Wie ich dir am Telefon gesagt habe, befindet er sich gar nicht
in der französischen Klinik, von der Rai gesprochen hat. Im Saint-Louis-Krankenhaus weiß keiner von ihm, und ich glaube kaum,
dass es sich um eine Fehlauskunft handelt, ich habe nämlich mehrmals angerufen und verschiedene Personen gefragt. Dann ist
da die Sache mit Vera. Bei ihr zu Hause macht niemand auf, und der Pförtner hat mir gesagt, er hätte sie schon seit ein paar
Tagen nicht mehr gesehen. Ich habe überlegt, ob ich die Polizei rufen soll, aber irgendetwas sagt mir, dass das keine gute
Idee wäre. Obwohl … wenn es so weitergeht, bleibt uns keine andere Wahl. Ich bin nun schon viele Jahre im Konzern und ich kenne vielleicht nicht
jeden, der da arbeitet, aber doch so einige Leute, die seit Jahren dabei sind. Und von denen halten manche einfach still.
Cassandra zum Beispiel, die läuft seit Tagen mit solchen Augenringen herum und sagt kein Wort. Andere reden immer nur über
denselben Kram. Miguel David hat uns am Freitagabend brühwarm erzählt, er hätte dich mit diesem jungen Mann, mit Carlos, gesehen.«
Unter gewöhnlichen Umständen hätte Isabel sich darüber aufgeregt,aber gerade interessierten sie andere Dinge viel mehr als Miguels Tratsch.
»Und was ist deiner Ansicht nach im Gang?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht.« Hugo starrte auf seine Pfeife, die er zwischen den Fingern hin und her wendete. »Ich habe überlegt, ob
sie vielleicht eine richtig große Umstrukturierung vorbereiten, aber da
Weitere Kostenlose Bücher