Der 26. Stock
hören, dazu Schritte.
Noch einmal zeichnete sich der Schatten auf dem hellen Holz des Möbelstücks ab.
»Schön, sehr schön. Wir haben wirklich superviel Spaß gehabt.«
Jetzt fiel es Isabel wieder ein. Das war sie selbst, als Hugo angerufen hatte. Natürlich, logisch. Aber dann … das Klopfen. Isabel hielt für einen Moment den Atem an. Dann hörte sie eine Stimme, die sie sofort wiedererkannte. Das war
sie selbst, die Hugo sagte, jemand hämmere gegen ihre Tür. Und Hugo sagte,sie solle nicht aufmachen, nein, nicht aufmachen, das hatte sie gar nicht registriert. Warum war er davon so überzeugt gewesen?
Sie nahm sich vor, ihn am nächsten Tag danach zu fragen. Hätte sie nur geahnt, dass es Carlos war, dann hätte sie ihm sofort
aufgemacht.
Der Schrei traf Isabel unerwartet. Der schrille, durchdringende Klang ihres eigenen Schreis ließ sie für einige Augenblicke
erstarren. Dann hörte sie Teo, wie er im Wohnzimmer den Notarzt anrief. Danach vernahm sie wieder ihre eigene Stimme, wie
sie Teo nach Handtüchern schickte und ihm dann erklärte, was passiert war. Isabel erinnerte sich nicht, so ruhig gesprochen
zu haben, nur daran, wie ihr das Herz bis zum Hals geschlagen hatte. Ein paar Minuten später kamen schon die Sanitäter, und
dann fiel die Tür ins Schloss, das heißt, die Wohnung war nun leer. Aber die Kamera war immer noch da. Die Aufnahme lief weiter
wie bisher, der untere Teil des Regals und die stille Wohnung. Isabel sah aus Trägheit weiter zu. Ihr war nicht danach, aufzustehen
und den Fernseher auszuschalten. Dasselbe Möbelstück, dasselbe Stück Wand. Hin und wieder hörte man das Knacken der Heizung
oder ein leises Knarzen von Holz. Und plötzlich war es vorbei. Weißes Rauschen erfüllte den Bildschirm, obwohl das Band noch
lief. Das Videogerät spulte ein paar Minuten vor, um die nächste Szene zu suchen. Dann kam das Band an sein Ende und wurde
automatisch zurückgespult. Isabel erhob sich, um Fernseher und Videorecorder auszuschalten, da wechselte das Bild. Das Band
hatte wieder von vorne begonnen. Isabels Gehirn brauchte einige Sekunden, um die Szene zu erkennen, die sie vor sich auf dem
Bildschirm hatte. Es war ein Standbild. Sie setzte sich wieder in den Sessel. Die Aufnahme zeigte eine Art verglasten Eingang.
In der Mitte klaffte ein Loch, als hätte ein Kind einen großen Stein dagegengeworfen. Durch das Loch konnte man einen Schreibtisch
sehen. Wer hielt die Kamera? Das sah keineswegs nach etwas aus, das Teo hätte filmen können. Die Kamera fuhr rückwärts, als
würde sich derjenige, der die kaputte Glasscheibe filmte, vom Ort des Geschehens entfernen. Unddann schwenkte sie nach unten. Auf dem Bildschirm erschienen die Rücken zweier Männer neben einem Polizeiauto. Die Kamera
entfernte sich noch weiter, aber Isabel wusste schon, was als Nächstes kommen würde. Da: Ein Mann, der mit dem Gesicht nach
unten auf dem Boden lag. Im Hintergrund das Gebäude, zu dem die kaputte Scheibe gehörte: der Büroturm. Diesmal war es eindeutig
zu erkennen. Als der Mann in Uniform sich zu dem am Boden hinunterbeugte, endete die Aufnahme. Weißes Rauschen erfüllte erneut
den Bildschirm, und kurz darauf winkte Teo neben dem Zoo-Restaurant in die Kamera. Isabel war unfähig, sich zu rühren. Dieselbe
Szenerie wie auf der Fotokopie. Nur zusätzlich noch das Loch in der Scheibe. Isabel spürte, wie es ihr kalt den Rücken hinunterlief.
Sie schaltete Videorecorder und Fernseher aus. Die Kamera gehörte Carlos.
Isabel wollte sich nur noch ausruhen und all die befremdlichen Vorkommnisse der letzten Tage vergessen, so gut sie konnte.
Nachdem sie die Weckfunktion ihres Handys aktiviert hatte, machte sie das Licht aus und legte sich hin. In den folgenden Minuten
versuchte sie sich auf Wüstenlandschaften und die Ägyptenreise zu konzentrieren. Sie würden durch das Tal der Könige streifen,
die Cheops-Pyramide besuchen und der mysteriösen Sphinx ihre Aufwartung machen. Ja, die könnte sie fragen, wo Alberto Hernán
geblieben war oder wer diese Männer auf dem Video sein mochten. Die Sphinx würde ihr antworten. Sie würde es ihr sagen, das,
was ihr vorher nicht aufgefallen war, was sie eigentlich schon wusste. Jetzt schien alles einen logischen Sinn zu ergeben.
Es war einfacher, als sie gedacht hatte. Es war so einfach, dass sie sich am nächsten Morgen ohne Weiteres würde erinnern
können. Isabel lächelte zufrieden, den Kopf in den
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