Der 48-Stunden-Mann (German Edition)
sie sagen sollte. Dann beschloss sie, dass die Wahrheit das Einfachste war. „Sie sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als ich vier war.“
Louise stockte der Atem, und sie hielt sich die Hand vor den Mund.
„Danach hat es keine andere Familie mehr gegeben. Ich bin in Pflegestellen aufgewachsen.“
„Nein“, murmelte Louise, und nun strömten ihr die Tränen über die Wangen. „Oh, nein. Hannah. Nein! Ich kann nicht … Oh, das hätte nicht passieren dürfen. Das ist so ungerecht!“
Ohne dass Hannah überhaupt wusste, dass sie aufgestanden war, lag sie plötzlich in den Armen ihrer Mutter. Sie weinten beide, Louise in einem heftigen, abgehackten Schluchzen und Hannah leise.
Nichts daran ist gerecht, dachte sie grimmig. Weder das, was Louise zugestoßen ist, noch das, was ich erlebt habe.
„Das tut mir so leid“, entschuldigte sich Louise unter Tränen. „Das ist alles meine Schuld.“
Hannah holte tief Luft und richtete sich auf. Sie wischte sich die Tränen weg und versuchte zu lächeln. „Niemand hat Schuld daran. Es ist einfach passiert. Und letztlich geht es mir doch gut.“
„Aber ich wollte es mehr als gut für dich. Ich wollte das Beste.“ Louise ging zum Tresen, riss ein Stück Papier von der Küchenrolle, reichte es Hannah und nahm sich dann selbst eins. „Ich wünschte, das hätte ich gewusst. Ich hätte dich zu mir geholt. All diese verlorenen Jahre.“
„Jetzt sind wir zusammen.“
„Ja, das sind wir. Du hast recht. Das ist es, worauf es ankommt. An der Vergangenheit können wir nichts mehr ändern.“
Gemeinsam kehrten sie an den Küchentisch zurück. Hannah kämpfte mit ungewohnten Gefühlen. Sie hätte nicht geglaubt, dass Einzelheiten aus der Vergangenheit sie so berühren könnten. Ebenso wenig hatte sie damit gerechnet, dass irgendetwas davon für sie von Bedeutung sein könnte. Offensichtlich hatte sie sich getäuscht.
„Ich bin froh, dass du mir geschrieben hast“, sagte sie spontan.
Louise lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Das war die Idee deiner Brüder. Als sie erfahren haben, dass es dich gibt, wollten sie, dass ich dich suche. Ich hatte schon lange daran gedacht, hatte aber Angst davor. Sie haben mir die Unterstützung gegeben, die ich brauchte.“
„Es überrascht mich, dass sie so bereitwillig eine Fremde in ihr Leben lassen. Und dann noch unter so schwierigen Umständen. Für sie wird es auch nicht leicht sein, über die Vergangenheit nachzudenken.“
„Wahrscheinlich nicht.“ Louise lächelte traurig. „Sie sind so freundlich, mir nicht die Schuld für alles zu geben. Sie wissen, wie ihr Vater war. Ich war nicht die erste Frau, die … nun, es gab noch sehr viele andere. Aber trotzdem. Sie freuen sich darauf, dich kennenzulernen, obwohl die Tatsache, dass du ein Mädchen bist, alles verkompliziert.“
„Warum? Was sollte das denn für einen Unterschied machen?“
„Ich glaube, das sollen sie dir lieber selbst erklären.“
Hannah beschloss, die Sache erst einmal nicht weiter zu verfolgen. Sie hatte andere, dringendere Fragen, die sie im Kopf sortierte, bis sie diejenige fand, die sie meisten bewegte. „Bist du sehr krank?“
Erstaunt hob Louise die Augenbrauen. „Krank? Nein. Wie kommst du darauf?“
„In deinem Brief hast du geschrieben, dass wir uns sehensollten, solange noch Zeit ist. Anfangs habe ich geglaubt, du schreibst das, weil du alt und gebrechlich bist. Aber da das nicht der Fall ist, nehme ich an, dass du krank sein musst.“
Ihre Mutter lachte leise und strahlte Hannah an. „Ich bin unverschämt gesund. Alles, was ich damit sagen wollte, war, dass wir schon so viel Zeit verschwendet haben. Uns trennen siebenundzwanzig Jahre, und ich wollte nicht einen Tag länger leben, ohne meine Tochter kennenzulernen.“
Sie streckte die Arme aus und schob die Hände über die Tischplatte. Hannah zögerte einen Augenblick, dann berührte sie die Finger ihrer Mutter, und schließlich lagen ihre Hände ineinander.
„Ich bin so froh, dass du gekommen bist“, sagte Louise.
„Ich auch.“
Es freute Hannah, dass sie das vollkommen aufrichtig sagen konnte. Die Dinge entwickelten sich besser, als sie gehofft hatte. Sie mochte ihre Mutter. Und jetzt, wo sie ein wenig über die Umstände ihrer Geburt wusste, verstand sie auch, dass Louise nicht allzu viele Möglichkeiten für ihr Kind gehabt hatte. Nun hatte sie eine ganze Familie, die sie kennenlernen konnte und der sie angehören würde. Bis sie die Wahrheit herausfanden.
Unter
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