Der 48-Stunden-Mann (German Edition)
paar Minuten wären sie abgekühlt. Daher schlug sie vor, dass sich schon mal alle ins Wohnzimmer begeben sollten.
Hannah nutzte den Augenblick, um sich davonzustehlen. Sie entschuldigte sich und ging zur Haustür. Draußen lehnte sie sich ans Geländer der Veranda und schaute zum Himmel hinauf.
Es war eine schöne klare Nacht. Die Sterne leuchteten wie helle Lichtpunkte auf schwarzem Samt. Davor wirkten die Bäume mit ihrem dichten Laub wie riesige Wachtposten. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Vor achtundvierzig Stunden hatte sie nicht einmal gewusst, dass diese Menschen existierten, und jetzt gehörten sie auf einmal zu ihrem Leben. Wie war es dazu gekommen?
Tief in ihrem Inneren regte sich ein altes vertrautes Gefühl. Diese Sehnsucht kannte sie. Die Familie Haynes lockte sie mit ihrem Humor und ihrer Liebe. Sie wollte dazugehören. Aber eins hatte sie gelernt, und das war eine unerbittliche Wahrheit: Die Menschen, die ihr etwas bedeuteten, lehnten sie ab. So war es ihr ganzes Leben lang gewesen. Wenn sie anfing, sie gernzuhaben, würde auch diese Familie sie wegschicken. Da war es viel leichter, sich auf nichts einzulassen. Denn der Schmerz der Einsamkeit war wenigstens etwas, das sie kannte und ertragen konnte.
Als sie Schritte auf der Veranda hörte, drehte sie sich um. Nick kam zu ihr in die Dunkelheit, stellte sich hinter sie und versuchte, sie an sich zu ziehen. Sie entzog sich ihm.
„Mit dir rede ich nicht“, erklärte sie.
„Warum? Was habe ich getan?“
Er sprach mit einer solchen Entrüstung, dass sie lächeln musste – was er wegen der Dunkelheit aber nicht sehen konnte. Also blieb sie bei ihrem strengen Tonfall. „Du hast meiner Familie erzählt, dass ich singen und Klavier spielen kann.“
„Kannst du das nicht?“
„Natürlich nicht.“
„Meine Güte, Hannah, ich hatte einfach angenommen, dass du es kannst. Wenn du bereit gewesen wärst, mir ein paar persönliche Informationen anzuvertrauen, wäre das nicht passiert.“
„Ich weigere mich, die Schuld für deine Geschichten zu übernehmen.“
Da flüsterte er an ihrem Ohr: „Gib es doch zu. Du magst meine Geschichten fast so sehr, wie du mich magst.“
Ein Schauer erfasste sie. Sie dachte nicht im Traum daran, es laut auszusprechen, aber er hatte recht, verdammt noch mal. Sie mochte seine Geschichten, und sie mochteihn. Es war schon komisch, wie sie ihm das ganze letzte Jahr über widerstanden hatte, und jetzt, wo sie schließlich zusammen waren, fand sie seine Gesellschaft gar nicht so unangenehm. Sie genoss seinen Humor und seine Sicht auf die Welt.
Vergiss nicht, wer und was er ist, warnte eine Stimme in ihrem Kopf. Aber darauf wollte sie nicht hören. Nicht heute Abend.
Noch immer ganz nah an ihrem Ohr raunte er: „Danke für die fünf Dollar.“
Sie erinnerte sich daran, wie er nackt aussah, und platzte ohne nachzudenken heraus: „Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite.“ Im nächsten Augenblick hätte sie den Betrag mit Freuden noch hundertmal bezahlt, wenn sie die Worte hätte zurücknehmen können.
„Ich mag es, wenn du mich anschaust“, sagte er. „Vielleicht können wir morgen ja mal die Rollen tauschen.“
„Das glaube ich nicht.“ Ihre Stimme klang frostig, aber gleichzeitig schnellte ihre Körpertemperatur schlagartig um zwanzig Grad nach oben. Sie verstand nicht, weshalb sie sich so von ihm angezogen fühlte. Er war überhaupt nicht ihr Typ. Und trotzdem hatte er etwas. Etwas Unwiderstehliches.
Nick legte die Arme um ihre Taille und zog sie an sich. Diesmal wehrte sie sich nicht. Es war so schön, sich an ihn zu lehnen. Solide und verlässlich. Zwei Worte, von denen sie niemals geglaubt hätte, sie mit Nick Archer in Verbindung zu bringen.
„Ich weiß, das alles ist überwältigend für dich“, sagte er, „aber es wird leichter werden.“
„Glaubst du?“
„Garantiert. Die ‚Kennenlernphase‘ ist immer das Schwierigste, und schon jetzt sind alle von dir bezaubert.“
„Ich glaube, dass du es bist, auf dessen Konto das Bezaubern geht.“
Plötzlich drehte er sie zu sich herum, und bevor sie protestieren konnte, zog er sie näher und zupfte so lange an ihren Händen, bis sie um seinen Nacken lagen. „Wir haben Zuschauer“, murmelte er leise und wies mit dem Kopf auf irgendwelche Büsche. „Ein paar Kinder. Wir sollten das lieber gut machen.“
Was gut machen? wollte sie schon fragen, konnte die Antwort jedoch bereits in seinen Augen lesen. Sie schielte auf die Büsche, sah
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