Der 50-50 Killer
gleiche Prinzip gilt im Allgemeinen für jeden Sexualmörder. Es ist wahrscheinlich, dass er bei einem frühen Schritt auf seinem Weg erwischt worden ist, so wie ein Künstler sich wahrscheinlich erst einen Stapel ablehnender Antwortbriefe einhandelt, bevor er endlich sein erstes Werk verkaufen kann. Für einen Mörder mag es zum Beispiel eine Reihe kleinerer sexueller Übergriffe oder anderer Aktivitäten geben, durch die die Polizei auf ihn aufmerksam wurde; Dinge, die ihn anfangs bremsten und es ihm später, als er etwas besser verstand, was ihn vorher zu Fall gebracht hatte, erlaubten, weiterzumachen. So war Jacob Neils gefasst worden. Er war nicht fix und fertig aus der Hölle aufgestiegen, denn das tut niemand. So einfach darf man sich das nicht vorstellen.
Und doch war die Akte, die jetzt vor mir lag, eine wirkliche Herausforderung dieses Prinzips.
Die ersten Morde des Mannes, der als der 50/50-Killer bekannt werden sollte, waren so raffiniert und mit einer solchen Selbstsicherheit ausgeführt worden, dass alle annahmen, er müsse sein Vorgehen schon früher geübt und verfeinert haben. Doch trotz aller Hintergrundermittlungen, die auf das ganze Land ausgedehnt wurden, fand man niemals etwas, das dem auch nur entfernt gleichkam. Er schien wirklich aus dem Nichts aufgetaucht zu sein.
Seine ersten bekannten Opfer waren Bernard und Carol Litherland. Ich überflog die Einzelheiten. Sie waren beide über siebzig, seit fast fünfzig Jahren verheiratet, und hatten die letzten dreißig Jahre im selben Haus gewohnt. Sie hatten zwei Kinder, die beide eine eigene Familie hatten. Die Litherlands waren rücksichtsvolle Nachbarn, ruhig, aber noch immer in der Gemeinde aktiv, nette Leute, mit denen man sich angenehm unterhalten konnte.
Ein Nachbar, der sich wunderte, dass die Haustür offen stand, entdeckte ihre Leichen am Morgen nach dem Mord. In der Akte war ein Foto von dem Haus abgeheftet. Es sah grau und unheimlich aus. Die Tür war wie ein Eingang zur Hölle, der einen immer mehr anzog, je länger man ihn anstarrte.
Ich las schnell den Obduktionsbericht, der die zahlreichen Verletzungen sachlich auf einer Seite zusammenfasste.
Die Litherlands waren beide mit Handschellen an Händen und Füßen an die Bettpfosten gefesselt gewesen. Carol Litherland hatte Verbrennungen von einem Bügeleisen und außerdem Schnitt- und Stichwunden. Insgesamt sechsundfünfzig einzelne Verletzungen, einschließlich eines geblendeten Auges und einer Wunde an der Kehle, an der sie schließlich gestorben war. Auch ihr Mann war gefoltert worden, hatte Verbrennungen und Schnittwunden an Beinen, Armen, Brust und Kopf. Auch er hatte ein Auge verloren, war aber letzten Endes an einem Herzanfall gestorben, wahrscheinlich durch einen Schock ausgelöst.
Ich wappnete mich und begann, von einem Tatortfoto zum nächsten zu klicken, verglich sie mit dem Bericht. Die Leichen auf dem Bett im Licht der Polizeikameras sahen schrecklich aus, die blassen Hände ragten mit gespreizten, steifen Fingern aus den Handschellen am Kopfende. Die zerfetzten Gesichter lagen voneinander abgewandt auf roten Kissen.
Rasch ging ich die Nahaufnahmen ihrer Wunden durch und hielt schließlich bei einem Foto von der Wand über dem Kopfende inne.
Sofort ließ sich hinter den Ereignissen des Tages eher ein Sinn erkennen.
Der Mörder der Litherlands hatte mit den Fingern ein großes Motiv an die Wand gemalt, das fast identisch mit dem in Kevin Simpsons Arbeitszimmer war. Wieder sah es fast wie ein Traumfänger oder ein Spinnennetz aus, war aber doch anders. Die Linien des Netzes waren verschmiert und unterbrochen. Was immer es darstellen sollte, der Bericht zeigte, dass es mit dem Blut der Litherlands gemalt worden war.
Von Anfang an war klar, dass es bei dem Mord an den Litherlands nicht um einen missglückten Einbruch gegangen war. Als der Mörder mit ihnen fertig war, hatte er die Wohnung sauber gemacht und das Haus verlassen, als die Straße leer war. Am Tatort wurden keine Fingerabdrücke gefunden. Nicht die geringste forensisch verwertbare Spur, durch die man ihn hätte überführen können. Nichts schien gestohlen worden zu sein.
Die Ermittlungen begannen ohne Anhaltspunkt und führten nicht viel weiter, und nach einiger Zeit schwand die Zahl der für den Fall eingeteilten Beamten dahin. Damals wurde der Fall von Detective Geoff Hunter und seinem Team bearbeitet. Mercer bekam ihn erst fünf Monate später, als die nächsten zwei Opfer entdeckt wurden und die
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