Der 50-50 Killer
Polizei ein bisschen besser zu begreifen begann, womit sie es zu tun hatte.
Nachdem ich den ersten Teil der Akte gelesen hatte, kehrte ich mit einem Mausklick zu dem Foto des Spinnennetzes an der Wand der Litherlands zurück und maximierte das Bild, so dass es den ganzen Bildschirm ausfüllte.
Dann lehnte ich mich zurück und dachte darüber nach.
Wie Mercer gesagt hatte, war es dem Motiv von heute zu ähnlich, als dass es ein bloßer Zufall sein konnte. Sicher war ein und derselbe Täter für beide Morde verantwortlich. Deshalb wunderte ich mich wieder über Gregs anfängliche Zurückhaltung und auch über das weniger klar geäußerte Widerstreben der anderen im Team. Was konnte dahinterstecken? Gewiss gab es auch Unterschiede – einige Aspekte der früheren Verbrechen schienen bei dem jetzigen zu fehlen –, doch was man gefunden hatte, war doch überzeugend genug, und ich konnte immer noch nicht verstehen, was allen so sehr zu schaffen machte.
Vielleicht ist das Problem gar nicht, dass ich nicht überzeugt bin. Aber an der ganzen Sache ist wohl irgendetwas, das mich beunruhigt.
Ich runzelte die Stirn, als ich an Gregs Worte dachte. Dann wandte ich mich wieder meiner Akte zu.
Am zweiten Tatort hatte der 50/50-Killer beim Verlassen des Hauses die Haustür zugemacht, und das sollte den ersten wirklichen Einblick in seine Methoden und Motive bringen. Die Tür der Litherlands hatte er offen gelassen, weil sie beide gestorben waren. Doch ein Opfer seines zweiten Paares lebte noch und konnte auf sich aufmerksam machen. Der 50/50-Killer wollte, dass seine Opfer gefunden wurden.
Die Roseneils, ein junges Paar, beide dreiundzwanzig und erst seit kurzer Zeit verheiratet, waren auf die gleiche Weise gefesselt wie die Litherlands. Daniel Roseneil war im Lauf der Tortur geknebelt und irgendwann ohnmächtig geworden, entweder vor Schmerzen, vor Angst oder aus beiden Gründen. Als er wieder zu Bewusstsein kam, sah er, dass der Mörder fort war und seine Frau tot neben ihm lag. Der Täter hatte ihm den Knebel abgenommen, ihn aber weiter ans Bett gefesselt gelassen. Daniel schrie über eine Stunde, bis die Nachbarn kamen.
Der Roseneil-Mord wurde Mercers Team zugeteilt, bevor er offiziell mit dem früheren Fall in Verbindung gebracht worden war. Unter anderen Umständen hätte Hunter beide Fälle übernommen, aber Mercer bemerkte etwas an den beiden Verbrechen, das ihn nicht mehr losließ. Er stellte einen Antrag und bekam den ganzen Fall. Ich konnte mir vorstellen, dass das nicht allzu gut angekommen war. Doch was immer es an internen Rangeleien gegeben haben mochte, von da an war die Jagd auf den 50/50-Killer Aufgabe unseres Teams.
Ich überflog die weiteren Details.
Julie Roseneils Leiche wies Verletzungen auf, die denen von Carol Litherland an Anzahl und Intensität glichen. Große Schnitt- und Brandwunden, Verstümmelung der Brüste und Genitalien, Verunstaltung des Gesichts und Kopfes. Wie bei Carol war Julies Kehle durchschnitten. Daniel Roseneil war genau wie Bernard Litherland gefoltert worden, aber am Ende hatte der Täter ihn am Leben gelassen.
Ich klickte mich zu den Tatortfotos durch und versuchte erfolglos, mit einer gewissen Distanz das zu betrachten, was ich sah. Ich stellte fest, dass ein ähnliches Motiv wie beim ersten Fall über dem Bett der Roseneils an die Wand gemalt war. Halb Traumfänger, halb okkultes Symbol, ein Netz, dessen Fäden durch kleine verschmierte Kreuze unterbrochen waren.
Dies war also das Autogramm des 50/50-Killer, das sich an allen Tatorten fand, allerdings jedes Mal leicht abgeändert. Keines der Muster war in Büchern zu finden gewesen, doch es hatte offensichtlich eine bestimmte Bedeutung und war wichtig für ihn. Was immer sein Motiv für diese Morde sein mochte, diese Zeichnungen spielten eine Schlüsselrolle in der ihnen zugrunde liegenden Pathologie.
Als letztes Foto kam eine Schwarzweißaufnahme von der Hochzeit der Roseneils, die vier Monate vor dem Überfall gemacht worden war. Sie hielten sich an den Händen, standen beide von der Kamera abgewandt, drehten sich aber leicht zu ihr um und lächelten. Es war schrecklich im Vergleich zu den anderen Fotos: jenen, die danach gemacht worden waren. Sie sahen so jung und glücklich aus und schienen sich so fest an der Hand zu halten. Und dann war Daniel wieder zu Bewusstsein gekommen und hatte seine Frau tot neben sich vorgefunden, von diesem Augenblick an unerreichbar für ihn.
Es gab Aufnahmen von der
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