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Der 50-50 Killer

Der 50-50 Killer

Titel: Der 50-50 Killer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Mosby
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und unter Kontrolle sei, ein drastischer Kontrast zu den Menschen, die man hier wie in einer Kaserne gefangen hielt.
    Ich studierte damals noch, schrieb an meiner Doktorarbeit und war nervös. Zum ersten Mal im Leben würde ich persönlich auf jenes am meisten verabscheute und gefürchtete, am seltensten anzutreffende Mitglied der Gesellschaft treffen – einen Serienmörder. Natürlich war ich etwas aufgeregt, aber das wäre gar nicht nötig gewesen. Das Erlebnis war merkwürdig enttäuschend. Es zeigte sich, dass Jacob Neils auch nur ein Mensch war.
    Weil ich über ihn gelesen hatte, umgaben seine Verbrechen ihn wie eine dunkle Aura. Aber ich bin sicher, dass ich ihn ohne dieses Vorwissen einfach uninteressant gefunden hätte. Er war langweilig, von sich selbst eingenommen und arrogant, wobei er nichts aufzuweisen hatte, das diese Haltung gerechtfertigt hätte. Jacob brachte immer wieder Sprüche wie: »Also, ich bin ja nicht besonders schlau, aber …«, und es bestand absolut keine Notwendigkeit für dieses »aber«. Er konnte kaum lesen und schreiben und spielte so offensichtlich den ganz Verschlagenen, dass man es förmlich riechen konnte. Er war dick, mit Fettwülsten unter dem engen blauen Hemd. Die Gesichtshaut um seine stechenden Knopfaugen war fleckig, und er blinzelte zu heftig und zu oft, so als ob das Licht ihn störe.
    Aber seine Unterarme waren muskulös. So hatte er es getan. Jacob war kein angenehmer Mensch, bei ihm ging es einzig um körperliche Stärke. Das ganze Gespräch über saß er mit verschränkten Armen in sich zusammengesunken da, die Hände, die seine Opfer erwürgt hatten, auf die dicken, schlaffen Oberarmmuskeln gelegt, und genoss die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde. Es gefiel ihm, Menschen zu ängstigen und Gefährlichkeit auszustrahlen, obwohl er eingesperrt war. Der Gedanke, dass alle einen gewaltigen Respekt vor ihm hatten, behagte ihm. Er mochte mich nicht besonders, weil ich ihm gegenüber weder Angst noch Ehrfurcht empfand und auch seine Angebereien über seine Taten nicht hören, sondern lieber mit ihm über seine Kindheit sprechen wollte.
    Hinter diesem blinzelnden Blick gab es keine emotionale Bindung an andere Menschen, das war mir klar. Nachdem er seine Pubertät und Jugend hinter sich hatte, war das annehmbare Spektrum sexueller Neigungen zertrampelt und besudelt zurückgeblieben. Ein normal entwickelter Erwachsener will einem anderen erwachsenen Menschen mit dessen Zustimmung Lust bereiten und sie von ihm empfangen. Jacobs Fixierungen waren ganz anderer Art. Die Menschen waren für ihn Objekte und nur dazu da, seinen fehlgeleiteten Neigungen Genüge zu tun. Er war sexuell abartig und hatte im Lauf der Jahre gelernt, dies zu verbergen und genügend Normalität vorzutäuschen, dass er damit durchkam.
    Wie war er so geworden? Das herauszufinden war der Grund meines Besuchs im Niceday Institute. Meine Doktorarbeit diente dem Versuch, die Grauzone zwischen seiner Kindheit und der Entwicklung zum Erwachsenen, der er jetzt war, darzustellen. Letzten Endes trug dieser Tag einen kleinen, nicht besonders beweiskräftigen Teil zu einer nicht besonders bemerkenswerten Dissertation bei, obwohl das Erlebnis mir viel länger präsent blieb. Ich kam an jenem Abend sehr still nach Haus. Lise tat ihr Bestes, mich aus meiner beklommenen Stimmung herauszuholen, aber ich konnte es damals nicht erklären. Wahrscheinlich hätte ich selbst heute noch Schwierigkeiten damit.
    Nur eines konnte man mit Sicherheit über Jacobs Vorgeschichte sagen: Niemand entführt ein Mädchen beim ersten Mal von der Straße und erwürgt sie in einem Steinbruch. Wie alles, was man im Leben tut, erfordert auch Mord eine gewisse Übung. Und auf diese Weise wurde er schließlich auch erwischt. Jahre bevor ich anfing, für John Mercer zu arbeiten, hatte dieser richtig vermutet, dass der Steinbruchmörder sich langsam auf sein erstes bekanntes Verbrechen hin entwickelt hatte. Er nahm an, dass Jacob wahrscheinlich vorher Tramper mitgenommen und einen zaghaften Schritt nach dem anderen getan hatte, um seine geheimen Phantasien in die Realität umzusetzen. Also hatte die Polizei in umgekehrter Reihenfolge gearbeitet. Man ging Unterlagen über Entführungen und Überfälle durch und untersuchte Berichte über verdächtiges Verhalten. Man nutzte die relative Raffinesse des Mörders in der Gegenwart, um daraus auf Fehler zu schließen, die er in der Vergangenheit begangen und jetzt zu vermeiden gelernt haben musste.
    Das

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