Der 50-50 Killer
überzeugt, den Mann noch nie zuvor gesehen zu haben.
Ich minimierte das Fenster mit der Befragung und blätterte in der Datei, wo Simon und Greg zusammen eine mögliche Lösung der Frage herausgearbeitet hatten, wieso der Mörder so viel über die Roseneils wissen konnte. Genau wie bei den Litherlands hatte er den Tatort so sauber wie nur möglich hinterlassen, doch es gab gewisse Aktivitäten, die er nicht verbergen konnte. Staubrückstände zeigten, dass er sich an Steckdosen und Lampenfassungen zu schaffen gemacht hatte, und genau wie vorher gab es keine Anzeichen für einen Einbruch. Es gab auch Hinweise darauf, dass der Täter eine gewisse Zeit im Speicher des Hauses zugebracht haben musste. Zuerst waren diese Entdeckungen verwirrend, begannen aber zusammen mit dem, woran sich Daniel noch dunkel erinnerte, einen Sinn zu ergeben.
Ich las den IT-Bericht.
Greg hatte Beispiele von Überwachungsgeräten aufgelistet, die seiner Vermutung nach benutzt wurden: Mikrofone und Kameras, die man in Steckdosen verstecken oder anderswo im Haus an verborgenen Stellen unterbringen konnte; Vorrichtungen, die E-Mails und Passwörter abfangen konnten; Werkzeuge, mit denen man Schlösser und Schlüssel nachbilden konnte. Es war erschreckend, wie leicht und relativ billig sie zu beschaffen waren.
Die Theorie war, dass der Täter sich lange vor dem Mord Zutritt zum Haus verschafft und seine Opfer vor dem Übergriff einige Zeit beobachtet und studiert hatte. Er nahm ihre Gespräche auf, verbrachte Nächte im Speicher über ihnen. In gewissem Sinn wohnte er bei ihnen, vielleicht sogar mehrere Monate. Er brachte ihre Geheimnisse und ihre Lügen in Erfahrung und benutzte sein Wissen, um zusätzlich zum körperlichen Schmerz auch ihre Gefühle zu verletzen.
All dies gehörte zu seinem »Spiel«. Er quälte Menschen, um sie dazu zu bringen, die Person aufzugeben, die sie liebten, und ihm damit diesen Menschen auszuliefern.
Ich schloss die Augen. Obwohl die Morde entsetzlich waren, dachte ich mindestens genauso viel über die Überlebenden nach und über die Wahl, die sie hatten treffen müssen. Ich würde für dich sterben, ich könnte ohne dich nicht leben – die Menschen sagen solche Dinge oft, müssen sie aber nie beweisen. Die Opfer des 50/50-Killers, die überlebten, mussten sich jeden Tag vor dem Spiegel der Tatsache stellen, dass sie es nicht geschafft hatten, ihre Zusage einzuhalten. Trotz der Versprechen, die sie ihrem Partner gegeben hatten, war ihre Liebe nicht groß genug gewesen, und deshalb war dieser Mensch jetzt tot. Sie selbst hatten diese Wahl getroffen.
Ich öffnete wieder das Hochzeitsfoto von Daniel und Julie Roseneil. Sie sahen so glücklich und ahnungslos aus; das Bild war voller Möglichkeiten und Erwartungen. Es war eine Mahnung, dass man nie weiß, was auf einen zukommt. An den meisten Tagen ist alles in Ordnung und normal, aber eines Tages ist es nicht mehr so. Es liegt in der Natur der Sache, dass man das nie kommen sieht. Die schrecklichen Dinge im Leben überrollen einen wie ein Lastwagen, der aus einer Seitenstraße auf einen zurast.
Und dann zurück zu Daniel Roseneil in dem aufgezeichneten Gespräch, mit seinem entstellten Gesicht und seinem zerstörten Leben. Ganz plötzlich war seine Frau tot, und er war allein, und in gewisser Weise war er sogar verantwortlich dafür. Es war zwar für die Ermittlungen hinderlich gewesen, doch ich machte ihm ganz und gar keinen Vorwurf, dass er sich an das, was in jener Nacht passiert war, nicht erinnert hatte. Ich machte niemandem Vorwürfe.
Es hatte noch zwei weitere Überfälle gegeben, beide im folgenden Jahr. Die dritten Opfer waren Dean und Jenny Tomlinson, ein Paar Ende zwanzig, und an diesem Tatort kehrte der Mörder sein Szenario um. Er ließ Jenny wählen, wer gefoltert und getötet werden sollte. Sie war schwer verletzt, überlebte die Nacht jedoch; ihr Freund starb an ihrer Stelle. Sieben Monate später suchte sich der 50/50-Killer sein viertes Opferpaar. Nigel Clark wurde die Wahl überlassen. Er wurde so schwer verletzt, dass er nie wieder gehen konnte, während Sheila, mit der er seit zwanzig Jahren verheiratet war, umgebracht wurde.
In allen Fällen war die Technik des Mörders makellos. Nie gab es Anzeichen für einen Einbruch. Nie hinterließ er kriminaltechnisch brauchbare Spuren.
Ich brauchte die Fotos der beiden letzten Morde nicht zu sehen. Stattdessen kehrte ich, da die Zeit drängte, zum Hauptmenü zurück und öffnete zwei
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