Der 50-50 Killer
heraus. Er sah gehetzt aus, als hätte er die Erinnerungen, denen er auszuweichen versuchte, in den Wäldern zurückgelassen, weil er sie für tot hielt, und jetzt begannen ihre Geister, aus dem Halbdunkel des Zimmers aufzutauchen. Er war so niedergeschmettert vor Trauer, dass er den körperlichen Schmerz kaum wahrzunehmen schien.
Endlich drehte er sich mir zu und sah mich an, zu müde, als dass er versuchen konnte, sich sein Leid nicht anmerken zu lassen. Er schüttelte weder den Kopf, noch erhob er Einwände.
»Mir ist etwas eingefallen. Es ist merkwürdig.«
»Was?«
»Im Auto. Wissen Sie noch, ich dachte, dass wir unterwegs zweimal angehalten hätten?«
»Stimmt.«
»Na ja, es ist seltsam, aber ich glaube, in dem Lieferwagen war ein Kind dabei.«
Ich konnte meine Überraschung nicht verbergen. »Ein Kind?«
»Ich meine, ein Baby«, sagte er, als klänge es dann normaler.
»Der Typ mit der Teufelsmaske hat immer mit jemandem auf dem Beifahrersitz geflüstert. Als wollte er jemanden beruhigen. Und ich weiß noch, dass ich ein kleines Kind hab weinen hören. Und dann, nachdem wir angehalten haben, hab ich es nicht mehr gehört.«
Ich schaute ihn einen Moment an und wägte ab. Eigentlich nicht, weil ich ihm nicht glaubte, aber ich musste das Trauma berücksichtigen, das er hinter sich hatte, und die Medikamente, unter deren Einwirkung er stand. Sein Bewusstsein versuchte vielleicht, etwas ganz anders zu verstehen, und stellte es sich auf eine bestimmte Art und Weise vor.
Oder es konnte auch wahr sein. In diesem Fall hatte er recht: Es war seltsam. Ich speicherte es, um es unten mit den anderen zu diskutieren.
»Können Sie sich an irgendetwas erinnern, das der Mann gesagt hat?«
»Eigentlich nicht. Nicht was er damals gesagt hat jedenfalls.«
Ich hielt inne. »Und zu einem anderen Zeitpunkt?«
»Ja.« Langsam nickte er. »Eigentlich glaube ich, er hat viel mit mir gesprochen. Aber es ist, wie wenn man mit einem schlimmen Kater aufwacht. Man weiß, dass man mit jemandem gesprochen hat, aber worüber, das hat man vergessen. Also, wir hatten ein langes Gespräch, aber an das Thema kann ich mich nicht erinnern.«
Er dachte einen Moment intensiv nach, dann schüttelte er den Kopf. Aber er schien nicht bekümmert, nur verwirrt, und ich hatte den Eindruck, dass irgendetwas in ihm verlangte, dass ich ihm weitere Fragen stellte.
»Dieser Mann«, sagte ich vorsichtig, »er folgt den Leuten lange Zeit. Er bringt alles Mögliche über sie in Erfahrung. Und was er an Informationen herausfindet, verwendet er gegen sie.«
»Das verstehe ich nicht. Was bedeutet das?«
»Sie wissen, dass er Sie verletzt hat. Aber die Sache ist die, er fügt den Leuten nicht nur körperliche Wunden zu. Er wird Ihnen bestimmt Dinge gesagt haben, die Sie unglücklich machen. Er hat Ihnen zum Beispiel vielleicht unschöne Dinge über Jodie erzählt.«
Scott sah mich an.
»Sagt Ihnen das irgendetwas?«, fragte ich.
Doch aus seinem Gesichtsausdruck ließ sich nur schließen, dass er ganz woanders war.
»Scott?«
Er sagte es ganz leise: »Kevin.«
Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass mich der
Name interessierte, oder auch nur, dass ich ihn kannte.
»Ist das etwas, woran Sie sich erinnern?«
»Ich glaube schon. Er hat mit mir über Kevin gesprochen.«
»Wer ist Kevin?«
Er wollte antworten, hielt dann aber inne und wandte sich ab.
Sei vorsichtig, sagte ich mir. Dräng ihn nicht in eine bestimmte Richtung. Lass ihm Zeit.
Er starrte lange aus dem Fenster. Ich saß so geduldig wie möglich da, horchte auf das leise Piepsen der Apparate und fragte mich, ob er nach Worten oder Erinnerungen suchte oder einfach nur an dem Entschluss arbeitete, überhaupt mit mir zu sprechen.
Schließlich sagte er: »Jodie hatte eine Affäre.«
»Okay.«
»Keine Affäre. Es war eine einmalige Sache.«
»Wann war das?«
»Vor zwei Jahren. Sie kannte Kevin von der Uni. Als sie fertig waren, haben sie zusammen eine Firma gegründet. Aus dem Nichts. Allmählich lief sie ziemlich gut, und einmal waren sie über Nacht zusammen auf einer Geschäftsreise. In einem Hotel.«
Er atmete tief ein und berichtete dann schnell die Tatsachen, wie die letzten paar Übungen einer Trainingseinheit.
»Sie hat sich betrunken. Hat schließlich mit ihm geschlafen. Hat mich am nächsten Tag angerufen und es mir erzählt. Und ich weiß, dass es unsinnig ist, aber ich glaube, der Mann mit der Teufelsmaske hat mit mir darüber gesprochen.«
Ich lehnte mich
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