Der 7. Rabe (German Edition)
Stunden noch darin gefunden hatte.
„Verstehst du mich?“
Nicken überforderte Raj, doch Farres schien zu spüren, dass er auf ihn reagierte.
„Verwandle dich. Als Rabe kann ich dich leichter warm halten, dir effektiver den Schnabel zubinden und muss dich nicht so hart fesseln.“
Seltsame Vorstellung von Hilfe hatte der Kerl … Mit dem Gedanken, dass eine kleinere Gestalt auch kleinere Wunden bedeutete und er als Rabe endlich mit dem Heulen aufhören konnte, gehorchte Raj.
Fasziniert beobachtete Farres, wie sich das Augenweiß des jungen Mannes schwarz färbte. Unter gequältem Stöhnen, das in heiseres Krächzen überging, zogen sich nach und nach schwarze, glänzende Federn über die helle Haut. Er hatte schon häufiger bemerkt, dass die Raben sehr viel länger für eine Verwandlung brauchten als Wölfe. Möglicherweise lag es daran, dass sie erst ihr Skelett in leichte Hohlknochen wandelten. Außerdem waren die Körper der Raben zumeist nahezu unbehaart, abgesehen von Kopf und Scham. Statt das vorhandene Haar binnen eines Herzschlages zu einem dichten Pelz anwachsen lassen zu können, mussten sie erst Federn sprießen lassen. Bei all diesen Nachteilen war es seltsam, wie gefährlich diese Bastarde tatsächlich waren!
Erleichtert atmete er auf, als ein vergleichsweise kleiner Rabe vor ihm lag, genauso matt und gebrochen wie zuvor der Mann. Er fühlte sich weit weniger schuldig, wenn er nicht die ganze Zeit auf sein hilfloses Opfer starren musste … Auf die verzweifelten Tränen, die Spuren der Gewalt, auf die blutigen Verbände, die nicht nötig gewesen wären, hätte Farres ihn direkt beim ersten Mal anständig gefesselt.
Farres band Raj behutsam den Schnabel zusammen, um ihn am weiteren Krächzen zu hindern – noch immer flog das Pack über den Wald und suchte nach ihm. Dann legte er seinen Mantel, der innen trocken geblieben war, über den Vogel. Es würde dem ausgekühlten, verletzten Leib gut tun und durch die Schwere des Stoffes zugleich verhindern, dass der ihm ein zweites Mal entkommen konnte. Zuletzt wandelte er sich in einen Wolf, zog den Raben zwischen seine Vorderläufe und wartete geduldig auf die Nacht. Raj trug nun seine Markierung. Für den Rest seines Lebens würde jeder Wolf wittern, dass der jüngste Rabenprinz Farres gehörte, und zwar ausschließlich ihm. Nicht einmal Farouche konnte ihn für sich fordern. Diese Bindung hatte nichts mit Liebe und viel mit Versklavung zu tun und verurteilte Raj außerdem dazu, von Farres’ Rang im Rudel abhängig zu sein. Sobald Farres stürzte, würde auch Raj jeglichen Schutz verlieren …
4.
Vor ihnen erhob sich die Canisfeste. Sie war beinahe ganz in einen Hügel mitten im dichtesten Wald hineingebaut, lediglich ein paar dicke, runde Türme ragten aus dem farnbedeckten Erdreich heraus. Müde und mit schmerzendem Hinterlauf trabte Farres durch das mächtige Doppeltor in die dämmrige Wärme eines großen Saales. Zwischen seinen Fängen trug er vorsichtig den Raben. Insgeheim gratulierte er sich zu der Idee, Raj auf diese Weise zur Feste zu bringen, so waren sie schnell und sicher vorangekommen und er brauchte sich nicht mit einem schlaffen, verwundeten Körper abzuschleppen.
Sein Vetter Fingram gehörte zu den Wachhabenden und ließ Farres nur widerwillig passieren, ohne ihm die Beute zu entreißen. Fingram hatte immer zu den Sanftmütigen des Rudel gehört, der sich mit der brutalen Herrschaft von Farres‘ Vater und anschließend mit der seines Bruders schwer getan hatte. Hingebungsvoll hatte er sich um seine Familie gekümmert, das Leben und das Lachen geliebt. Inzwischen kam Fingrams Hass auf die Raben beinahe an Farouches heran, was nicht verwunderlich war, da Fingram seine geliebte Gefährtin und zwei Welpen im Krieg verloren hatte. Nach einigen Drohgebärden und Anknurren ließ Fingram ihn schließlich passieren. Nun ignorierte er hartnäckig die neugierigen Fragen nach seinem Gefangenen, nach Farouche, ob es Kämpfe gegeben hatte und ob er das Flatterdings zum Spielen freigeben wollte. Stattdessen eilte er humpelnd durch schwach beleuchtete Gänge tiefer in die Erde hinab, bis er seine Räumlichkeiten erreichte. Dort setzte er Raj behutsam auf seiner Bettstatt ab, auf der etliche Felldecken lagen und begann sich winselnd die Hinterpfote zu lecken. Der kaum verheilte Lauf tat nach der Anstrengung unbeschreiblich weh.
Auf seinem Bett rappelte sich der Rabe mühsam in die Höhe. Rajs rechter Flügel hing kraftlos herab und
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