Der 7. Tag (German Edition)
trifft viele Menschen als Rechtsanwalt.
Auf gut Glück bin ich hingefahren. Der Mandant war zu
Hause. Er halft mir, die Handschellen loszuwerden. Diesmal waren die Seiten
vertauscht. Jetzt war er derjenige, der mich beriet.
„Ganz klar“, sagte er, „du musst verschwinden. Entweder
dein Kumpel findet dich oder die Bullen nehmen dich hopps. Beide werden dich
hetzen bis zum Sankt Nimmerleinstag. Du hast nur eine Chance. Du musst herausbekommen,
wohin die Knete gegangen ist und wofür sie gebraucht wurde. Nur so kannst du
nachweisen, dass du sie nicht genommen hast. Ein bisschen schwierig, wenn dein
Kumpel dir ans Leder will. Ich würde sagen: verschwinde erst mal irgendwohin,
wo du sicher bist.“
„Ich kann doch nicht einfach so verschwinden“, habe ich
gesagt, „was ist mit meiner Frau?“
„Die darf auf keinen Fall etwas wissen, nicht mal den
Ansatz eines Verdachtes haben, sonst ist sie auch dran. Wenn dein Kumpel die
Knete genommen hat, dann musst du spurlos verschwinden, sonst gerät er in
Verdacht. Und wenn deine Frau einen Verdacht hat, dann wird er versuchen, sie
zu ermorden.“
„Um Gottes willen, wir erwarten ein Baby.“
„Na dann beeile dich, damit dein Kind seinen Vater
behält. Hau‘ ab.“
Mein Mandant hat mir die achtunddreißigtausend Euro, die
er mir noch schuldete, in bar gegeben und sein Auto geliehen. Er hat
versprochen, den Audi, in dem ich entführt worden war, irgendwo abzustellen,
damit meine Spur nicht zu ihm verfolgt werden kann. Außerdem hat er mir eine
Adresse in Norddeutschland gegeben, wo ein Freund von ihm mir weiterhelfen
würde.
So verschwand ich aus Eurem Leben, um Euer Leben zu
schützen. Solange ich verschwunden war, würdest du in Sicherheit sein. Denn
wenn Ulli sich nicht bedroht fühlte, würde er Euch in Ruhe lassen.
In Bremen habe ich einen Pass auf einen anderen Namen
bekommen. Ich habe mir die Haare färben lassen und Kontaktlinsen gekauft. Und
dann bin ich auf Umwegen hierhergekommen.
Meine zwei Freunde in Deutschland hatten versprochen, mir
mit dezenten Recherchen weiterzuhelfen. Sie haben ihr Versprechen gehalten,
zumindest so lange es ging. Und das, was sie herausbekommen haben, ist noch
schlimmer, als ich befürchtet hatte. Ich will das, was Ulli uns angetan hat,
nicht entschuldigen. Aber er hat sich mit Leuten eingelassen, um die man am
besten einen ganz großen Bogen macht. Er hat versucht, sich mit dem
unterschlagenen Geld von dieser Mafia freizukaufen. Die Spuren führen einmal rund
um die Welt, nur das die Welt des Verbrechens sehr viel enger ist, als du es
dir vorstellen kannst.
Mein Mandant hat kurz nach meinem Verschwinden einen
schweren Schlaganfall bekommen. Er lebt jetzt in einem Pflegeheim. Und der
Freund in Bremen, der mir weitergeholfen hat, musste ebenfalls das Land
verlassen.
Hier funktionieren nicht mal Handys. Also auch kein
Internet. Wenn man das Glück hat, einen Cosmos oder eine deutsche Tageszeitung
zu bekommen, sind sie uralt. Über meinen Mandanten habe ich erfahren, dass Du
deinen Job verloren hast, Bille. Aber du wolltest ja sowieso nicht mehr
arbeiten, habe ich mein Gewissen getröstet. Du wirst genug zu tun haben mit
unserem Kind. Ich weiß, dass Dich die Unwissenheit fast umgebracht haben muss.
Aber ich bin mir sicher, dass Du und Mutti nicht eine Sekunde geglaubt habt,
dass ich Euch wegen des Geldes verlassen habe.
Meine geliebte Bille, es ist gar nicht so
einfach, einen solchen Brief zu schreiben. Denn es ist ja ein Abschiedsbrief.
Dies ist, glaube ich, der zwanzigste Entwurf. Vielleicht nicht der letzte. Wenn
meine Reise nach Deutschland kein Happy End haben sollte, dann will ich, dass
Du weißt, dass ich Dich von ganzem Herzen geliebt habe. Ich will, dass unser
Kind weiß, dass sein Vater kein Betrüger ist. Und ich will, dass Mutti und Ihr
für den Rest eures Lebens in unserer Villa leben könnt. Aber bevor ich zu Euch
zurückkehren kann, muss ich denjenigen überführen, der uns das alles angetan
hat. Wenn ich es nicht schaffen sollte, meine geliebte Frau, dann musst Du
weitermachen. Geh‘ mit diesem Brief zur Polizei, und versuche auf keinen Fall,
etwas auf eigene Faust zu unternehmen.
Ich habe unglaubliche Sehnsucht nach euch, nach Berlin.
Ich hätte dich nie freiwillig verlassen. Du weißt doch, was ich dir geschworen
habe: bis dass der Tod uns scheidet.
Dein Dich über alles liebender
Michael
Dieser Brief ist von einer unbekannten Touristin im April 2009
nach Deutschland
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