Der 7. Tag (German Edition)
schließlich waren die Jungs mal meine Freunde.
Also bleibe ich stehen und schaue in ihre Kameras. „Erwartet bitte nicht, dass
ich jetzt lächle“, sage ich. Was soll ich auch sagen. Gott sei Dank, da ist
Ulli.
„Bist du bereit?“
Ja, Ulli, ich bin bereit. Er drückt mir die Hand, versucht
mir damit wieder Mut zu machen. Eine Justizangestellte schiebt mich durch eine
Tür in den abgetrennten Bereich des Sitzungssaals, der für die Angeklagten
vorgesehen ist.
Altehrwürdiges Landgericht Berlin-Moabit. Ob die dunkle
Eichentäfelung wohl der Einschüchterung der Angeklagten oder vielleicht gar der
Zeugen dienen soll? Obwohl es ein strahlender Augusttag ist, dringt die Sonne
kaum durch die bunten Bleiglasfenster. Wie ich den August inzwischen hasse!
Das ehrwürdige Gericht hält Einzug. Lächerlich. Ich schaue
mir diejenigen an, die über mich richten werden. Die Vorsitzende der drei
Berufsrichter ist Gott sei Dank eine Frau, so um die Fünfzig. Sie schaut ein
wenig streng über eine Goldrandbrille hinweg und ihre stark herunter hängenden
Mundwinkel sprechen nicht unbedingt für pralle Lebensfreude.
Rechts von ihr sitzt ein jüngerer Richter. Ehrlich gesagt,
ist er mir auf Anhieb sympathischer als die Vorsitzende Richterin. Unter einem
schütteren Haaransatz wird sein Gesicht beherrscht von zwei buschigen
Augenbrauen, die in der Mitte fast zusammengewachsen sind. Das gibt ihm etwas
Diabolisches. Trotzdem schauen seine blauen Augen durchaus freundlich.
Links von der Vorsitzenden sitzt ein Richter, der ein
bisschen aussieht wie Pumuckel. Er hat einen runden Bürstenhaarschnitt und sein
Gesicht ist noch von keiner Lebenserfahrung gezeichnet.
Neben ihm thront eine Schöffin, der man jetzt schon ansieht,
dass sie geradezu begierig ist, dem deutschen Staate zu dienen. Ihr viel zu
kleiner, herzförmiger Mund verrät, dass sie ziemlich rechthaberisch sein muss.
Na ja.
Der zweite Laienrichter, rechts neben den unglaublichen
Augenbrauen, ist der Typ genialer Versicherungsvertreter. Einer, der dir, wenn
du nicht schnell genug wegläufst, noch eine Lebensversicherung für deinen Hund
aufschwatzt. Ziemlich korpulent. Er schwitzt jetzt schon.
Du liebe Güte, diesen Leuten bin ich also jetzt
ausgeliefert. Der Gerichtssaal ist gerammelt voll. Hundert Augen ruhen auf mir.
Ich kenne einige von den anwesenden Journalisten, früher hätte ich gesagt
‚Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen‘. Heute Abend werde ich in den
Journalistenkneipen der Stadt das Tagesgespräch sein. „Hast du gesehen, wie die
aussieht?“
Der Staatsanwalt ist der Typ Streber. Seine schwarze Nerd-Brille
macht ihn älter, als er wahrscheinlich ist. Und härter. Ich schätze ihn auf Mitte
30.
Sie sind immer noch dabei, die Anwesenheit aller Beteiligten
festzustellen.
Die Beteiligten, das ist wohl ein Witz. Die ganze Anklage
ist ein Witz. Leider ein schlechter. Ulli dreht sich zu mir um und lächelt mich
an. Er sieht gut aus. Seine schwarze Robe verleiht ihm professionelle Würde. Ob
ich wohl seiner Vorstellung von einer leidenden Madonna entspreche?
Du weißt es wohl, dass ich keine Madonna bin, lieber Ulli.
Ich habe dich dazu gebracht, nach deiner Mama zu schreien. Winselnd bist du auf
allen Vieren hinter mir her gekrochen und hast um Gnade gefleht. Und ich habe
Gnade vor Recht walten lassen. Ich habe deinen Schwanz gelutscht, bis du
explodiert bist. Du hast mich in den Brombeeren gepoppt, bis ich zum Notarzt
musste. Der hat mir mit der Pinzette die Stacheln aus dem Rücken gezogen.
Danach hast du mich mit Jod beträufelt und von hinten genommen. Eigentlich
haben wir nur gevögelt, damals, im Sommer 1999.
Erst im Winter haben wir angefangen zu reden. Welch‘ ein
Winter zur Jahrhundertwende. Oh ja, wir waren glücklich!
Nachdem das Gericht die Anwesenden über ihre Rechte und
Pflichten feierlich belehrt hat, verliest der Staatsanwalt die Anklage. „Sybille
Thalheim, geborene Wiegand, geboren am 2. Dezember 1971 in Berlin, wird
beschuldigt, ihren Ehemann Michael Thalheim am 3. Februar 2009, um ca. 2.00 Uhr
morgens mit 18 Messerstichen im Hotel zur Post in Berlin-Lichtenrade getötet zu
haben....“
Danach haben sie die Zeugen herausgeschickt. Welche Zeugen
eigentlich? Das Problem ist doch wohl, dass es keine Zeugen gibt. Sie
versuchen, mich auf Grund von Indizien des Mordes zu überführen.
Ulli und ich haben abgesprochen, dass ich mich ausschließlich
zu meiner Person äußern und ansonsten zur Sache schweigen
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