Der 8. Februar (German Edition)
wir haben mitgemacht und unbewusst unser Leben auf’s Spiel gesetzt. In unserer Lagerscheune, wo die fertigen Kaninchenfelle auf den Versand warteten, gab es eine Stellage, mit der man leicht auf die hohen Balken klettern konnte. Wir waren fünf Kinder auf den Balken, das Spiel hatte begonnen, als mein Vater plötzlich unten stand und ruhig sagte:
„Kommt langsam herunter, das ist zu gefährlich.“
Heute kann ich nur voller Bewunderung sagen, mit welcher Ruhe und Überlegenheit er die ganze Situation entschärft hatte, mit welcher Selbstbeherrschung er uns alle heil wieder auf den Boden gebracht hatte, das war einzigartig und einer seiner Charakterzüge. Seitdem sind wir nie mehr auf die Balken gestiegen. Durch dieses Erlebnis waren wir für das Erkennen von gefährlichen Situationen sensibilisiert worden.
Wir bildeten stattdessen eine Theatergruppe und übten mit wechselnden Darstellern. Wir wollten andere Kinder zum Zuschauen einladen und stellten sogar unsere eigenen Eintrittskarten her. Es sollte ja alles so echt wie möglich sein. Leider hatten wir keinen Karton oder eine Druckerei, so nahmen wir Papierstreifen, legten sie in die Nähmaschine und ließen die Nadel das Papier ohne Faden perforieren. Darauf waren wir richtig stolz. In der Scheune wurde eine Schaukel an einem Balken befestigt und wir dachten uns Kunststückchen für ein oder zwei Kinder aus. Mit dem Vorhang hatten wir noch Schwierigkeiten, denn die Betttücher reichten nicht. Schließlich wurde aus dem ganzen Vorhaben nichts, weil unsere Hausangestellte Angela die Hinweispfeile entdeckte, die ich bis zum Veranstaltungsraum, dem Heuboden, als Orientierung für die Zuschauer angebracht hatte. Sie sagte, der Heuboden sei zu gefährlich, denn er hatte kein Geländer. Auf dem Scheunenboden konnten wir wegen Platzmangel nicht spielen.
Das Prunkstück im Haus war unser Schaukelpferd, das ich sehr liebte. Es war eine Einzelanfertigung und hatte nicht die üblichen zwei gebogenen Holzkufen, wie sie Schaukelstühle haben. Das Pferd hatte ein robustes Holzgestell mit einem soliden, aufgehängten Brett, an dem die Beine angebracht waren. Pferd und Brett wurden zu einer Einheit und konnten so vor- und zurückbewegt werden. Diese Bewegung war einem echten Pferd sehr ähnlich. Es hatte die Größe eines Fohlens und war mit echtem Kalbfell bezogen, Mähne und Schweif waren aus echtem Rosshaar, die Augen aus Glas. Es hatte Zaumzeug und einen Sattel aus Leder und ich kann ohne Übertreibung sagen, dass ich nie wieder so ein schönes Schaukelpferd gesehen habe. Wie gerne hätte ich es aufgehoben und noch heute würde ich einen angemessenen Platz in meinem Haus dafür finden. So bleibt nur die Erinnerung, da leider keine Fotos gemacht wurden oder sie verloren gingen.
Im Sommer wurde auf der Veranda zu Abend gegessen, was mir immer besonders gefiel. Es gab frische Erdbeermilch mit Zucker und einem Butterbrot. Ich liebte die Butter so dick aufgestrichen, dass die Zähne beim Abbeißen Abdrücke hinterließen. Eingekochte Leberwurst, die es meistens während des Krieges gab, mochte ich nicht besonders, habe sie aber aufgrund der Umstände gegessen. Es gab eben nicht viel Auswahl. Graupensuppe mochte ich auch nicht, die war so grau und unansehlich. Sonst habe ich alles gegessen, besonders in den schlechten Zeiten, wenn der Hunger groß war.
Es war immer gut, wenn ich zum Abendessen zu Hause war. Großmutter hatte etwas dagegen, dass wir jeden Tag zum Schwimmen gingen und so musste ich sie manchmal austricksen. Ich zog mir den Badeanzug unter mein Kleid und verschwand für den Nachmittag, dann kam ich mit noch feuchten Haaren zurück, wenn schon alle am Tisch saßen.
„Die Chlorjauche zehrt“, sagte Großmutter .
Großmutter Pauline sorgte für Ordnung, das kann ich sagen. Nach dem Mittagessen hatten wir Mittagsruhe zu halten und marschierten an Großmutter vorbei, die oben an der Treppe stand und jeder bekam ein Eigelb, verrührt mit Zucker. Ab und zu schlug sie Eiweiß zu Schnee, den mochten wir lieber. Ruth musste sich in den letzten Jahren nicht mehr zum Eigelb anstellen. Sie war schon kaufmännischer Lehrling in unserem Büro und arbeitete zusammen mit Marianne Köhler. Die Schwestern Ursula und Marianne arbeiteten abwechselnd bei uns. Zuerst Marianne, bis sie zum Arbeitsdienst einberufen wurde, dann Ursula. Als Marianne zurückkam, musste Ursula zum Arbeitsdienst. Zuletzt arbeitete Marianne bei uns, die einen
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