Der 8. Februar (German Edition)
gerissen. Die Pilze wurden beschlagnahmt, die ganze Mühe war also umsonst gewesen. Damit war der Fall aber keineswegs erledigt. Die beiden Frauen mussten mit den Männern mitgehen, ich lief hinterher, bis sie alle in der polnischen Kommandantur verschwanden. So stand ich allein und ängstlich in der fremden Stadt vor dem Gebäude und wusste weder, was mit den Frauen geschah noch was ich machen sollte. Ich hatte versucht mit in die Kommandantur zu gehen, aber man ließ mich nicht hinein. Dann wartete ich, ging ein bisschen auf und ab, ohne das Gebäude aus den Augen zu verlieren. Gab es etwa einen Hinterausgang, wo man die beiden abtransportieren konnte?
Die Stunden vergingen. Ich bekam fürchterlichen Hunger, aber ich glaube, meine Angst war noch größer. Nur sehr wenige Menschen gingen auf den Bürgersteigen, keiner sprach mich an oder nahm Notiz von mir. Ich hörte nur polnische Laute, keine deutschen. Wir waren gegen halb zehn in Liegnitz angekommen und jetzt wurde es schon dunkel. Essen würde ich hier nicht bekommen. Sollte ich allein versuchen, den Weg nach Hause zu finden? Die genaue Fahrt in die Stadt hatte ich mir nicht merken können, da es einfach zu viele Straßen und Abzweigungen gewesen waren. Ich musste versuchen, den richtigen Weg schnell zu finden, wenn ich noch vor Mitternacht in Heidau sein wollte. Die sechzehn Kilometer würden noch lang genug werden.
Ich war schon ein paar Schritte unterwegs, als ich plötzlich von hinten meinen Namen hörte und ich drehte mich um. Es war Frieda, die allein auf mich zu kam. Ich war erleichtert, sie zu sehen, doch gleichzeitig machten wir uns Sorgen um Liesel. Gemeinsam warteten wir noch eine Weile in der Nähe der Kommandantur, aber Liesel kam nicht. Wir wussten nicht weiter und Frieda meinte, wir sollten nach Hause gehen, hier konnten wir nicht bleiben. Sie kannte die Strecke zurück und ich war glücklich, nicht mehr allein zu sein.
Unterwegs blinkten schon die Sterne über uns und es war finstere Nacht, als wir heimkehrten. Zu unserer Überraschung dauerte es nicht allzu lange und Liesel traf auch ein. Nun waren wir glücklich und müde zugleich. Frieda hatte den ganzen Tag eine Fäkaliengrube mit den bloßen Händen entleeren müssen, wobei sie auch noch mit den Worten: „Deutsches Schwein!“ beschimpft wurde. Ich hatte mich unterwegs schon über den strengen Geruch gewundert, sagte aber nichts. Liesel wurde festgehalten und musste die ganze Zeit Wäsche mit einem Waschbrett waschen. Da sie an verschiedene Stellen in dem Gebäude gebracht worden waren, wusste die eine nichts von dem Verbleib der anderen. Sie bekamen dafür weder etwas zu trinken noch zu essen, sie kamen nur mit ihrem Leben davon.
Frau Gerschel, mittlerweile fast siebzig Jahre alt, dachte sich im September einen Plan zur Nahrungsbeschaffung aus. Sie hatte weißes Haar und trug es immer zu einem Knoten gebunden. Was mir damals auffiel war, dass sie Hochdeutsch sprach und offensichtlich sehr gebildet war. Wie mutig sie war, beschreibe ich mit der folgenden Begebenheit. Sie schüttete einen Liter Apfelsaft in einen Topf und stellte ihn aufs Feuer. Dann gab sie eine gehörige Portion Pfeffer, Industriesalz und wer weiß was dazu. Nachdem sich die Suppe abekühlt hatte, ließ sie sie durch ein Metallsieb laufen und füllte eine leere Schnapsflasche ab. Diese verschloss sie mit einem Korken und drückte ihn so tief in den Flaschenhals, dass er mit der Halsöffnung abschloss. Jetzt war es unmöglich, die Flasche mit den bloßen Händen zu öffnen. Sie trug mir auf, den Handwagen zu holen, und in diesem Moment sah ich auch, wie sie die Flasche unter ihrer abgetragenen Jacke verbarg. Sie sagte nichts dazu und ich fragte auch nicht. Wir machten uns mit dem Handwagen und einem leeren Sack auf nach Parchwitz. Es war ein bewölkter Tag und wir kamen gut voran. Dann merkte ich, dass sie in Richtung Konservenfabrik abbog und ich bekam ein merkwürdiges Gefühl im Magen. Wir gingen direkt auf den Wachposten am Tor zu, der auch gleich seine Maschinenpistole in Anschlag nahm. Frau Gerschel sprach ja kein russisch, aber sie gestikulierte geschickt mit den Händen und zeigte dabei auf die mitgebrachte Flasche. Der Posten schaute sich kurz um und nahm die Flasche, wobei er natürlich annahm, sie enthielte Schnaps. Jetzt verstand ich: der Korken war so tief in der Flasche, dass er einen Korkenzieher oder etwas Ähnliches brauchte, um sie zu öffnen. Dazu musste er seinen Posten
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