Der 8. Februar (German Edition)
mussten wir auf die Milchkannenrampe tragen. Da stand es nach dem Abtransport der Möbel noch eine Weile und Mama holte einige Dinge unbeobachtet wieder ins Haus, besonders die teure Porzellanfigur einer Tänzerin, die auf der Anrichte gestanden hatte. Die Bilder waren schon mit den Möbeln abtransportiert worden, genauso wie der Elektroherd. Uhren waren sowieso keine mehr da und die Kleiderschränke wurden komplett verladen.
Die Maschinen in der Fabrik wurden auch demontiert. Mama und ein Nachbar holten einige Elektromotoren ins Wohnhaus und versteckten sie in einem großen Backofen, wo sonst immer unser Brot gebacken wurde. Unsere Betten, der Küchenschrank und der Tisch mit den Stühlen wurden uns gelassen. Als die Gerüchte zunahmen, dass wir unsere Heimat verlassen müssten, nahm Mama einen Einkochapparat, verstaute die Tänzerin aus Porzellan und einige teure Geschirrstücke darin und wir versenkten dann alles bei Dunkelheit im Teich, natürlich in der Hoffnung, unser Eigentum eines Tages wiederzufinden.
Der Hof Pirl
Im Herbst 1945 kam Friedel Obst angerannt und rief:
„Klara, das Russenkommando im Hof Pirl zieht ab, wir können unsere Möbel wieder zurückholen!“
Mama zog eine Jacke über und ging mit ihr los, um nichts zu verpassen. Es war Mittag an einem bedeckten Tag, und der Hof Pirl war nur ein kurzer Fußweg von sieben Minuten von unserem entfernt. Wir Kinder blieben zu Hause und warteten auf ihre Rückkehr. Ursula saß am Fenster und spielte mit ein paar Gummiringen, die sie von den Einmachgläsern hatte, immer ein Auge auf die Straße gerichtet. Es vergingen zwei Stunden und von den beiden war nichts zu sehen. Wir machten uns natürlich Sorgen und ich wollte nachsehen gehen, wo sie blieben. Ursula stand ohne ein Zögern auf und sagte, sie wolle unbedingt mitgehen. Ohne weitere Umschweife machten wir uns auf den Weg. Ruth stand am Fenster und winkte uns zum Abschied. Nach ein paar Metern gingen wir um die nächste Häuserecke und waren nun auf uns allein gestellt. Ich wäre lieber einen Schleichweg gegangen, wir mussten aber auf dem Weg bleiben, falls Mama und Friedel uns entgegenkamen. Wohl war mir dabei nicht.
Als wir ankamen, standen wir vor dem großen, offen stehenden Hoftor und schauten uns erst einmal um. Wir kannten den Hof gut und wussten, wo sich welche Gebäude befanden. Jetzt sahen wir dort aber drei russische Militärfahrzeuge stehen und gingen aus Angst nicht weiter. Wo waren Mama und Friedel nur? Stunden vergingen, wir hörten keine außergewöhnlichen Geräusche und verhielten uns ruhig. Es wurde kühler und es würde nicht mehr lange dauern, bis es dunkel würde. Plötzlich hörten wir mehrere Schüsse und erschraken zu Tode. Manche Kugeln schlugen innen an der Mauer ein, gar nicht weit von uns. Auf wen wurde geschossen? Noch bevor wir darüber nachdenken konnten, tauchte Friedel atemlos vor uns auf und zog uns aus der Schusslinie. Da hatten wir die Antwort, es wurde auf sie geschossen!
Friedel war zum Glück unverletzt, nahm uns eilig bei der Hand, und wir versteckten uns im nächsten Hof hinter einer Mauer. Dieser Hof war unbewohnt, die Familie war schon vor Monaten geflohen, und hier gab es auch keine Soldaten. Als wir ein Versteck gefunden hatten, erzählte sie uns mit einem Zittern, dass sie mit Mama gefangengenommen worden war und sie beide in einem Keller gesperrt worden waren. Dort setzten sie sich in eine Ecke und beteten halblaut zusammen. Immer wieder kam ein Offizier mit einer Schnapsflasche in der einen und einer Pistole in der anderen Hand und schrie sie an. Als er nach ein paar Minuten wieder nach oben ging, nachdem er die Kellertür abgeschlossen hatte, beteten sie weiter. Sie hatten eine fürchterliche Angst in ihrer dunklen Ecke.
Friedel wurde von dem Soldaten in einem der oberen Räume mehrfach verhört, was aber kein Ergebnis brachte, denn sie verstand überhaupt kein russisch.
Mama war immer noch im Keller eingesperrt und war bis zu diesem Zeitpunkt nicht verhört worden. Friedels Flucht gelang, als der verhörende Offizier wirres Zeug redete und so besoffen war, dass er mit dem Kopf auf den Tisch fiel und scheinbar einschlief. Sie rannte da-raufhin aus dem Zimmer den Flur entlang ohne links und rechts zu schauen. Kurz nachdem sie die Haustür hinter sich gelassen hatte, hörte sie die Schüsse und lief so schnell sie konnte im Zickzack zum Hoftor, wo sie zu ihrer Überraschung auf uns traf. Welcher der
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