Der Abgrund
wer der Boss ist.«
»Von wegen Männlichkeit und so«, sagte Web.
Gwen warf ihm einen seltsamen Blick zu. »Boo ist ein Wallach, Web.« Er sah sie fragend an, wusste nicht, was sie meinte. »Wäre er ein Mensch, würden wir Eunuch zu ihm sagen.«
»Armer Boo.«
Die beiden Pferde schienen einen widerwilligen Waffenstillstand zu schließen, und Web sah zu, wie Gwen ein Walkie-Talkie aus ihrer Gesäßtasche holte und einschaltete. »Nur für den Fall, dass es ein Problem gibt«, sagte sie.
»Klug von Ihnen, in Verbindung zu bleiben«, sagte Web. »Ich hab mein Handy auch dabei.«
»Nach dem, was heute mit Billy passiert ist, bezweifle ich dass ich je wieder eins benutzen werde.«
Web schaute zu seinem Telefon hinab und verspürte gewisse Zweifel.
Sie ritten los, verfolgt von einem Golden Retriever namens Opie und einem weiteren kleineren, aber kräftig gebauten Hund, den Gwen Tuff rief. »Auch Straits Hund läuft hier herum«, sagte sie. »Er heißt Old Cuss, ein passender Name, denn er macht nur Ärger.«
Der Himmel war klar, und als sie über die kleinen Hügel auf dem Anwesen ritten, kam es Web vor, er könne fast bis nach Charlottesville sehen. Boo gab sich damit zufrieden, Baron zu folgen, und behielt einen ruhigen Schritt bei, der Web nicht beanspruchte.
Gwen brachte Baron zum Stehen. Web hielt Boo neben ihr an.
»Wie gesagt, East Winds gibt es schon sehr lange. Im siebzehnten Jahrhundert schenkte der König von England einem gewissen Lord Culpeper Ländereien von Millionen von Morgen. Ein Nachkomme Lord Culpepers schenkte tausend Morgen dieser Ländereien seiner ältesten Tochter, als sie einen Mann namens Adam Rolfe heiratete. Rolfe, ein erfahrener Baumeister, begann 1765 mit dem Bau des Haupthauses und schloss ihn 1781 ab. Haben Sie die Fassade des Haupthauses gesehen?«
Web nickte.
»Tja, sie wurde im Georgianischen Stil errichtet. Und die Stuckarbeiten, besonders die Zierleisten, gehören zu den besten, die ich je gesehen habe.«
»Georgianisch, das hätte ich auch vermutet«, log Web; er hätte einen Georgianischen Stil auch dann nicht erkannt, wenn er ihn angesprungen und in seine Zierleisten gebissen hätte.
»Das Anwesen blieb bis zum Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts im Besitz der Familie Rolfe. Damals war es eine richtige Plantage, hier wurden Tabak, Sojabohnen, Hanf und so weiter angebaut.«
»Und die Arbeit haben wohl Sklaven gemacht«, sagte Web. »Zumindest bis zum Ende des Bürgerkriegs.«
»Eigentlich nicht. Die Plantage lag so nah bei Washington, dass die Besitzer mit dem Norden sympathisiert haben. East Winds war sogar Teil der Underground Railroad, die Sklaven aus dem Süden in den Norden geschafft hat.
1910«, fuhr Gwen fort, »verkaufte die Familie den Besitz. Er ging durch mehrere Hände, bis gegen Ende des Zweiten Weltkriegs Walter Sennick ihn kaufte. Er war Erfinder und verdiente ein Vermögen mit Ideen für die Autoindustrie. Er machte East Winds zu einer kleinen Stadt, die sich selbst versorgen konnte, und zu seiner Glanzzeit gab es hier über dreihundert fest angestellte Mitarbeiter. Es gab hier sogar ein Kaufhaus, ein Fernmeldeamt, eine Feuerwache und dergleichen.«
»Wie schön, wenn man seine Heimatstadt nie verlassen muss.« Während Gwen erzählte, ließ Web den Blick über das Gelände schweifen und schätzte ab, woher mögliche Angriffe kommen und wie man sich am besten gegen sie verteidigen könnte. Doch wenn sich schon eine Ratte eingeschlichen hatte, war diese Art von Strategie vielleicht sinnlos. Ein Trojanisches Pferd funktionierte heutzutage genauso gut wie vor Tausenden von Jahren.
Gwen nickte. »Jetzt haben wir hier insgesamt achtundsechzig Gebäude mit siebenundzwanzig Meilen Bretterzäunen. Neunzehn Koppeln. Fünfzehn Angestellte. Und wir betreiben noch immer Ackerbau, hauptsächlich Mais, auch wenn unser eigentliches Interesse natürlich der Zucht von Vollblütern gilt. Nächstes Jahr sind zweiundzwanzig Fohlen fällig. Und schon in Kürze stehen wieder Jährlinge zum Verkauf an. Das ist alles sehr aufregend.«
Sie ritten weiter und gelangten an einen Bach mit hohem Ufer. Gwen erklärte Web, dass er das Pferd besser selbst den Weg suchen lassen sollte. Als das Pferd die Böschung hinabging, riet sie Web, sich sehr weit zurücklehnen, sodass sein Kopf fast auf Boos Rumpf ruhte. Als Boo dann das andere Ufer erklomm, musste Web den Körper gegen den Hals des Tieres drücken und sich an der Mähne festhalten. Für die erfolgreiche Durchquerung
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