Der Abgrund
kommt aber nur dann, wenn er gebraucht wird. Um den Rest der Farm kümmern sich Nemo und seine Leute. Rennpferde müssen jeden Tag Bewegung haben, also haben wir auch ein paar Leute, die mit ihnen ausreiten, drei junge Frauen und einen Mann. Sie wohnen alle im Pferdezentrum.«
»Und Sie haben eine Alarmanlage. Ich habe das Tastenfeld gesehen, als wir hereinkamen.«
»Wir schalten sie nie ein.«
»Von jetzt an doch.«
Gwen sagte nichts dazu. Sie zeigte Web das letzte Zimmer.
Das Schlafzimmer der beiden war riesig, aber seltsamerweise nur spärlich eingerichtet. Web fiel auf, dass auch im Vorraum des Schlafzimmers ein Bett stand.
»Billy arbeitet oft bis spät in die Nacht und will mich nicht stören, wenn er zu Bett geht«, erklärte Gwen. »Er ist in dieser Hinsicht sehr rücksichtsvoll.«
Doch die Miene, mit der sie das sagte, erregte in Web den Verdacht, dass Billy gar nicht so rücksichtsvoll war.
»Die meisten Leute sehen nur Billys harte Seite«, fuhr sie fort, »und es waren wohl mehr als nur ein paar ein wenig skeptisch, als wir heirateten. Die eine Hälfte von ihnen hat wohl gedacht, ich würde Billy des Geldes wegen heiraten, und die andere, er habe es nur auf junges Gemüse abgesehen. Aber so war es nicht. Er hat ein hartes Leben gehabt und hat deshalb auch eine harte Schale. Aber er hat alles, was eine Frau sich von einem Ehemann wünschen könnte. Er hat Richmond verlassen, eine Stadt, die er liebte, und das einzige Geschäft aufgegeben, in dem er sich auskannte, weil ich ihn darum gebeten habe. Und weil er wohl wusste, dass wir das alles hinter uns lassen mussten, all diese vielen schlechten Erinnerungen.
Und er war David ein wunderbarer Vater, unternahm einfach alles mit ihm. Er hat ihn nicht verzogen, weil er glaubte, das würde ihn schwach machen, aber er hat den Jungen von ganzem Herzen geliebt. Wenn überhaupt, hat der Verlust Billy schwerer getroffen als mich, denn obwohl er Töchter aus seiner ersten Ehe hatte, war Billy sein einziger Sohn. Aber wenn er einen als Freund ansieht, würde er alles für einen tun. Er würde seinen letzten Cent hergeben, um einem zu helfen. Es gibt nicht mehr viele Menschen wie ihn.«
Web sah die Fotos an den Wänden und in einem eingebauten Wandschrank. Viele davon zeigten David. Er war ein stattlicher Junge, der eher nach seiner Mutter als nach seinem Vater geraten war. Web drehte sich um und bemerkte, dass Gwen neben ihm stand und ihren Sohn ansah.
»Es ist jetzt schon lange her«, sagte sie.
»Ich weiß. Die Zeit bleibt wohl wirklich für nichts und niemanden stehen.«
»Die Zeit soll auch Wunden heilen. Aber das tut sie nicht.«
»Er war Ihr einziges Kind?«
Sie nickte. »Billy hat erwachsene Kinder aus seiner ersten Ehe, aber David war mein einziges. Komisch, als kleines Mädchen war ich davon überzeugt, dass ich eine große Familie haben würde. Ich war eins von fünf Kindern. Kaum zu glauben, dass mein kleiner Junge jetzt in der Highschool wäre.« Sie wandte sich plötzlich ab, und Web sah, dass sie eine Hand ans Gesicht hob.
»Das reicht wohl für den Augenblick, Gwen. Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.«
Sie drehte sich wieder zu ihm um, und er sah ihre feuchten Wangen. »Billy möchte Sie und Ihren Freund heute Abend auf ein paar Drinks und zum Essen einladen.«
»Das müssen Sie aber wirklich nicht.«
»Wir möchten es aber. Sie haben schließlich sein Leben gerettet, und wenn wir eine gewisse Zeit miteinander verbringen, sollten wir uns wahrscheinlich ein wenig besser kennen lernen. Sagen wir, gegen halb sechs?«
»Nur, wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht.«
»Ganz bestimmt nicht, Web, aber es ist nett, dass Sie gefragt haben.«
»Nur damit Sie es wissen, wir haben keine schicken Sachen mitgebracht.«
»Wir sind auch keine schicken Leute.«
KAPITEL 32
Claire war auf dem Weg zu ihrem Wagen in der Tiefgarage ihres Bürohauses, als sich ihr ein gut gebauter Mann im Anzug näherte.
»Dr. Daniels?«
Vorsichtig blickte sie ihn an. »Ja.«
Er hielt seinen Ausweis hoch. »Ich bin Agent Phillips vom FBI. Wir würden gern mit Ihnen sprechen jetzt gleich, wenn's recht ist.«
Claire schaute verblüfft drein. »Wer möchte mit mir sprechen?«
Agent Phillips wandte sich um und deutete auf die Garageneinfahrt, wo bereits eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben und laufendem Motor wartete.
»Wir werden Ihnen alles erklären, Ma'am.« Freundlich legte er eine Hand auf ihren
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