Der Abgrund
er dagegen angekämpft und es schließlich überwunden hatte.
»Ja, er hat es überwunden«, meinte Winters. »Er ging zu Boden, bevor die Gewehre zu feuern begannen, und kam mit dem Leben davon.«
»Ich kann Ihnen versichern, dass er sich enorm schuldig fühlt, als Einziger überlebt zu haben.«
»Das sollte er auch.«
»Er hat sich nicht plötzlich zum Feigling gewandelt, falls Sie das meinen sollten. Er ist einer der mutigsten Männer, die ich jemals getroffen habe. Er kommt mir sogar zu mutig vor, zu bereitwillig, Risiken einzugehen.«
»Ich glaube nicht, dass er ein Feigling ist; nicht einmal sein ärgster Feind könnte das behaupten.«
Sie blickte ihn fragend an. »Was also glauben Sie?«
»Es gibt weitaus Schlimmeres, als ein Feigling zu sein.« Er machte eine Pause. »Zum Beispiel, ein Verräter.«
»Meiner Meinung als Ärztin zufolge ist das nicht der Fall. Sein Verharren in dieser Gasse weist auf tief verwurzelte Probleme hin, die aus einer äußerst problematischen Kindheit herrühren, mit der Web sich auseinander zu setzen hat.«
»Hmm. Vielleicht sollte er dann kein Mitglied des HRT sein. Vielleicht noch nicht einmal zum FBI gehören.«
Claire bemerkte, dass sie zu frösteln begann. Was hatte sie
gerade getan?
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Nein, Doktor, das habe ich gesagt.«
Wie vereinbart setzten sie sie wieder in der Garage ab. Als sie ausstieg, beugte Buck Winters sich vor und ergriff ihren Arm.
Claire wich instinktiv zurück.
»Ich kann Sie nicht davon abhalten, mit Web über unsere Begegnung zu sprechen, Doktor, aber ich möchte Sie bitten, es nicht zu tun. Das ist eine laufende FBI-Ermittlung, und die Ergebnisse, wie auch immer sie ausfallen mögen, werden das FBI stärker als je zuvor erschüttern. Ich bitte Sie also, das alles erst einmal für sich zu behalten.«
»Das kann ich Ihnen nicht versprechen. Und ich vertraue Web.«
»Natürlich vertrauen Sie ihm. Es gibt viele Gründe, ihm zu trauen. Wissen Sie, wie viele Menschen er im Lauf seiner Karriere getötet hat?«
»Nein. Ist das denn zum jetzigen Zeitpunkt wichtig?«
»Für die Angehörigen jener Leute bestimmt.«
»Das hört sich an, als sei er ein Krimineller. Wenn er jemanden getötet hat, war das wohl Teil seines Jobs - des Jobs, von dem Sie erwarten, dass er ihn ausführt.«
»Das ist wohl immer eine Frage der Interpretation.« Er ließ ihren Arm los und konnte sich eine Bemerkung zum Abschied nicht verkneifen: »Ich bin sicher, wir werden uns wiedersehen.«
Auf dem Weg zum Abendessen in der Villa schien Romano etwas seltsam zu laufen. Er erzählte Web, dass Billy ihn dazu gebracht hatte, auf ein Pferd zu steigen, und er sofort runtergefallen sei.
»Verdammt noch mal, warum kann ich dem Burschen nicht in einem Wagen folgen? Pferde sind einfach nicht mein Ding.«
»Tja, ich bin heute einen Großteil des Geländes abgeritten. Viele Stellen kann man mit dem Wagen gar nicht erreichen.«
»Bist du auch runtergefallen?«
»Ja, zweimal«, meinte Web. Warum die Wahrheit erzählen und Romano weiter auf die Palme bringen, dachte er.
»Mit wem bist du denn geritten?«, fragte Romano.
»Mit Gwen Canfield. Hat Spaß gemacht. Und wie war's bei dir? Auch Spaß gehabt?«
»Ja, ich hab gar nicht gewusst, wie viel Spaß es macht, einen Stall auszumisten. Das solltest du auch mal versuchen.«
Billy empfing Web und Romano an der Eingangstür des Steingebäudes. Er trug eine alte Cordjacke mit Ellbogenflicken, Khakihosen, ein zerknittertes weißes Oberhemd und Halbschuhe ohne Socken. Einen Drink hatte er bereits in der Hand. Er führte sie durch die Eingangshalle eine sich windende Treppe aus Nussbaumholz hinunter, die so alt aussah, als stamme sie aus der Kolonialzeit und wäre ein Geschenk einer längst verstorbenen königlichen Hoheit.
Obwohl Web schon einmal hier gewesen war, ertappte er sich dabei, wie er gelegentlich mit den großen Räumen liebäugelte, den ausgesuchten Metallarbeiten, schweren Wandteppichen und riesigen Kunstwerken, die nach Museumsqualität aussahen und sie wahrscheinlich auch hatten. Schließlich erreichten sie das Untergeschoss. Romano sah sich um und flüsterte fortwährend: »Sagenhaft!«
Wieder bemerkte Web Billys Humpeln. »Hatten Sie einen Unfall?«, fragte er und wies auf das Bein.
»Ja, ein Rassepferd von einer Tonne Gewicht musste unbedingt eine Rolle machen, während ich auf dem blöden Vieh saß.«
Der Boden im Untergeschoss bestand aus Steinplatten, und die frei stehenden Wände
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