Der Abgrund
benutze Maßband und Zirkel zur Vermessung von Längen und zum Erreichen der Symmetrie. Skalpelle aus offensichtlichen Gründen; ich benutze da etwas, das man das perfekte Messer nennt, kommt aus Deutschland. Die verdammten Deutschen wissen, wie man Messer macht. Es ist zum Häuten und für Rundschnitte - na ja, zum Beispiel, um den Hals von der Körperhaut zu trennen -, für die Detailarbeiten rund um die Augen und den Mund und so weiter. Ich habe Häutungsmesser, Schälmesser, Knochensägen, Rasierer, Lederscheren, sogar eine Fleischermaschine. Also, das ist wirklich eine verdammt gute Erfindung.«
»Glückliche heile Welt«, flüsterte Web leise zu sich selbst.
»Ich habe mir Fleischerhandschuhe aus Kevlar besorgt, damit ich mir nicht die Finger abschneide. Scheren, Hauthaken, Lippenklammern, Pinzetten, Zangen, Sonden und Chirurgennadeln. Hört sich nach einer Mischung aus Leichenbestatter und Chirurg an, nicht wahr?« Er zeigte auf die Mischeimer, die Pinsel, einen Kompressor und eine Menge Dosen. »Das ist der künstlerische Teil des Geschäfts. Die letzten Arbeitsschritte, um dem Tier gerecht zu werden.«
»Ist schon seltsam«, meinte Web, »über Gerechtigkeit an jemandem nachzudenken, den man getötet hat.«
»Ich denke, das unterscheidet Leute wie mich von den Hurensöhnen, die töten und dann einfach weiterlaufen«, feuerte Billy zurück.
»So wird's wohl sein«, sagte Web.
Billy trat zu einem Rehfell, das zum Trocknen auf einem Tisch lag. »Wissen Sie, was man als Erstes abschneidet, wenn man einen Hirsch ausweidet?«, fragte er und blickte dabei direkt zu Web.
»Was denn?«
»Den Penis.«
»Gut zu wissen«, meinte Web trocken.
»Hirsche sterben wie Menschen«, fuhr Bill fort. »Mit weit offenen Augen. Sie vernebeln sich fast sofort. Wenn die Augen geschlossen sind oder gar blinzeln, schießt man besser noch einmal.« Wieder sah er Web an. »Mit so was werden Sie bei Ihrer Arbeit wohl öfter konfrontiert.«
»Manchmal hat man diese Möglichkeit bei Menschen nicht.«
»Wohl nicht, auch wenn ich jedes der Tiere meiner Ausstellung über den menschlichen Abschaum stellen würde, mit dem Sie es zu tun haben.« Er nippte an seinem Drink. »Das ist wohl einer der Gründe, warum ich diesen Ort so mag. Verdammt widersprüchlich, wo ich selbst doch lebe und atme. Bettelarm geboren, kaum die neunte Klasse geschafft, habe ich dann eine Menge Geld gemacht, indem ich Zigaretten und anderen Müll die Straßen dieses wunderbaren Landes hinauf und hinab gefahren habe. Ich habe eine schöne, intelligente Frau mit College-Abschluss geheiratet. Und jetzt stehe ich hier, Herr eines Anwesens mitten im heiß begehrten Jagdgebiet von Virginia, und stopfe Tiere aus. Ein glücklicher Mensch. Erweckt in mir den Wunsch, mich zu betrinken. Arbeiten wir also daran!«
Er führte sie zurück zu Gwen. Sie warf Web ein leichtes Lächeln zu, als wolle sie sagen: Ich weiß, und es tut mir Leid.
Bill schritt hinter die Bar und zeigte auf seine Frau. »Scotch, Liebling?«
Sie nickte.
»Ich nehme auch noch einen«, sagte er. »Jungs? Und kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Blödsinn, Sie wären im Dienst. Wenn Sie nicht mit mir trinken, setze ich Ihre Ärsche vor die Tür.«
»Bier, wenn Sie welches haben.«
»Wir haben alles hier, Web.«
Web hatte den Eindruck, dass er es so sagte, als meine er es auch so.
»Für mich ebenfalls«, sagte Romano.
»Ich nehme auch eins, Billy«, sagte Strait. Er ging zu seinem Boss, nahm eine Flasche Bier entgegen und gesellte sich dann zu Web und Romano.
»Ich habe eine ganze Menge mehr für Bier übrig als für Cocktails.«
»Stammen Sie vom Land?«, fragte Romano.
»Yeah. Bin am Fuße der Blue Hills auf einer Pferdefarm aufgewachsen. Aber ich wollte etwas von der Welt sehen.« Strait krempelte seinen Hemdsärmel auf und zeigte ihnen eine Marinecorps-Tätowierung. »Nun, das habe ich dann auch getan, auf Kosten von Onkel Sam. Tatsächlich habe ich nur ein kleines Stück zu sehen bekommen, Südostasien genannt, und man hat keinen so großen Spaß daran, wenn dort Leute auf einen schießen.«
»Sie sehen nicht alt genug aus, um in Vietnam gewesen zu sein«, bemerkte Web.
Strait setzte ein breites Grinsen auf. »Liegt wohl an meiner gesunden Lebensweise. Ich bin erst ziemlich gegen Kriegsende eingezogen worden«, fügte er hinzu, »und war da gerade mal achtzehn. Im Dschungel hielt ich den Kopf unten, so gut es ging, und versuchte, ihn auf den Schultern zu behalten. Dann haben sie mich
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