Der Abgrund
zerfetzen.
Er ging hinüber und kraulte den dichten Nacken des riesigen Bären. »Dieses Ding hat zweimal sein Bestes gegeben, mich zu töten. Beim zweiten Mal hat er es fast geschafft, aber dann habe ich ihn erwischt.« Er zeigte zu dem Nashorn. »Diese verdammten Dinger sehen lahm und schwerfüßig aus. Aber nur, bis sie mit fünfzig Sachen pro Stunde auf einen zukommen, mit nichts zwischen einem und seinem Schöpfer als seinen Nerven, gutem Zielvermögen und einem ruhigen Finger am Abzug. Man zielt auf das Hirn. Wenn man es verfehlt und den Knochen trifft, ist man tot.«
»Die armen Tiere«, sagte Gwen.
»Zum Teufel, die verdammten Dinger haben mich ein Vermögen gekostet«, erwiderte ihr Mann trocken. Er sah einen der Hirsche an und nickte dann Web zu. »Sie wissen ja, der Hirsch ist das alte Symbol der Männlichkeit, der Weisheit und des Lebens. Und da hängt er nun an meiner Wand, mausetot. Irgendwie mag ich die Ironie darin. Ich stopfe sie übrigens alle selbst aus. Man muss dafür ein verdammt guter Präparator sein, wenn ich das so sagen darf.«
Web grübelte darüber nach, wann Billy das Verlangen zu töten empfunden hatte. Es musste kurz nach der Verhandlung gewesen sein, bei der Ernest Free mit dem Leben davongekommen war.
»Hier, ich zeig's Ihnen«, fuhr Billy fort. »Wollen sie mitkommen, Nemo?«
»Auf keinen Fall. Ich habe Ihre kleinen Operationen schon gesehen und noch nicht zu Abend gegessen.«
Billy führte sie einen Gang entlang und schloss eine Tür auf.
Gwen hatte sie ebenfalls nicht begleitet. Sie traten ein, und Web sah sich um. Der Raum war groß und voll gestopft mit Arbeitstischen und Regalen, auf denen Dosen mit Flüssigkeiten und Pasten, scharfe Messer und Skalpelle, Dutzende anderer Werkzeuge, große Lupen und Seile lagen. An der Decke hingen kompliziert wirkende Flaschenzüge. In einer Ecke lag das Fell eines Elchs, teilweise über eine Form gezogen, und in einer anderen stand ein wilder Truthahn in seiner vollen toten Pracht. Weitere Ecken wiederum waren gefüllt mit ausgestopften Vögeln, Fischen und anderen kleinen und großen Tieren, die Web zum Teil nicht mal kannte. Web hatte bereits verweste Leichen gerochen, und hier war es nicht ganz so schlimm, aber trotzdem wollte er diese Luft nicht jeden Tag einatmen.
»Die haben Sie alle selbst geschossen?«, fragte Romano.
»Jedes Einzelne davon«, sagte Billy erfreut. »Ich stopfe nur aus, was ich auch selbst töte.« Er hob einen Stofflappen auf, beträufelte ihn mit etwas Flüssigkeit und fing an, eines der Werkzeuge abzureiben. »Andere Leute spielen zur Entspannung Golf, ich töte und präpariere.«
»Ist wohl alles relativ«, meinte Web.
»Ich habe herausgefunden, dass es eine therapeutische Wirkung hat. Aber Gwen sieht das nicht so. Sie ist noch nie hier drin gewesen und wird es wohl auch nie. Also, das Präparatorhandwerk hat sich ganz schön weiterentwickelt. Heute baut man die Formen nicht mehr selbst, man kann wirklich gute aus gepresstem Kork kaufen, aus laminiertem Papier und so weiter, und die passt man dann dem an, was man aufziehen will. Es ist immer noch ziemlich viel Arbeit, man muss eine ganze Menge planen und abmessen und sollte sowohl was von einem Metzger als auch von einem Künstler in sich tragen. Die grundlegenden Schritte bestehen darin, den Körper auszuweiden und das Fell vorzubereiten. Viele Leute benutzen Borax, aber Puristen wie ich vergiften die Haut noch immer mit Arsen. Da bekommt man die längste Haltbarkeit. Ich habe sogar schon
selbst gegerbt.«
»Sie bewahren hier Arsen auf?«, fragte Romano.
»Tonnen davon.« Billy sah ihn an. »Machen Sie sich keine Sorgen, nach der Arbeit hier unten wasche ich immer die Hände. Und kochen tu ich auch nicht.« Er lachte, und Romano tat es ihm gleich, auch wenn er etwas nervös wirkte.
»Danach präpariert man den Schädel, bringt Drähte und so weiter an, dann kommt die Füllung und schließlich das Ausrichten.«
Web sah sich die Ausrüstung im Raum an. Er schien sich kaum von einem Schlachthaus zu unterscheiden. »'ne ganze Menge Zeugs hier.«
»Tja, man braucht so einiges, um den Job richtig zu machen.« Er zeigte auf verschiedene Gegenstände. »Wie ich schon sagte, es gibt anatomisch korrekte Formen aus Urethan, aber ich baue immer noch meine eigenen aus Gips, Modellierton, Holzwolle und so weiter. Man bekommt halt nicht alles geschenkt.«
»Stimmt«, sagte Romano.
»Dann braucht man noch Chemikalien und Salz, um die Haut zu konservieren. Ich
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