Der Abgrund
das College mit fliegenden Fahnen, kam nach Columbia und schlug mich da auch nicht schlecht. Ich hätte sogar Uni-Professor werden können.«
»Und dann ist Ihr Vater gestorben?«
»Sein Herz hat ihn schließlich im Stich gelassen. Ich kam gerade noch rechtzeitig zum Krankenhaus, bevor er starb.« Romano hielt an und blickte aus dem Fenster. »Er sagte, ich hätte ihm Schande gemacht. Er sagte, ich hätte ihm Schande gemacht, und dann starb er.«
»Und mit ihm starb Ihr Traum, Lehrer zu werden?«
»Ich brachte es nicht fertig, zum NYPD zu gehen. Ich hätte es spielend geschafft. Ich verpflichtete mich beim Militär, machte meine Delta-Force-Ausbildung, wechselte zum FBI und dann zum HRT. Eigentlich fiel mir das alles recht leicht. Je mehr sie versuchten, mich kleinzukriegen, desto mehr blühte ich auf.«
»Dann sind Sie schließlich doch noch gewissermaßen Polizist geworden.«
Er starrte sie an. »Aber ich habe es auf meine Weise getan.« Er machte eine Pause. »Ich hab meinen alten Herrn geliebt, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber ich habe ihm nie Schande gemacht. Und jeden Tag muss ich daran denken, dass das sein letzter Gedanke war. Und dann möchte ich entweder schreien oder jemanden umbringen.«
»Das kann ich verstehen.«
»Ach ja? Ich konnte es nie verstehen, verdammt noch mal.«
»Sie sind nicht mein Patient, aber trotzdem ein gut gemeinter Rat: Irgendwann muss man sein Leben so leben, wie man es für richtig hält. Wenn man das nicht tut, bauen sich Groll und andere negative Faktoren auf, die zu schweren psychologischen Schäden führen können. Sie werden herausfinden, dass Sie sich dann nicht nur selbst verletzen, sondern auch diejenigen, die Sie lieben.«
Er sah sie mit einer Traurigkeit an, die sie tief berührte.
»Dafür ist es wohl etwas zu spät.« Dann fügte er hinzu: »Aber mit dem Ring hatten Sie wohl Recht.«
»Also, erzählen Sie mir etwas über diese Hypnose«, sagte Web.
Romano hatte Claire am Kutschenhaus herausgelassen und den Wachdienst bei den Canfields übernommen. Claire und Web saßen im Wohnzimmer und sahen einander an.
»Ich weiß, dass Sie abgelehnt haben, als O'Bannon Ihnen anbot, Sie zu hypnotisieren, aber hat er es Ihnen damals nicht erklärt?«
»Hab ich wohl vergessen, schätze ich.«
»Sie müssen sich einfach entspannen und mit dem Fluss treiben lassen, Web. Sie wissen schon, einfach nach Gefühl. Sie sind einer dieser Typen.«
»Ach, glauben Sie?«
Sie lächelte ihn über den Rand der Tasse Tee an, die er ihr gekocht hatte. »Man muss kein Psychiater sein, um das zu sehen, Web.« Sie schaute aus dem Fenster. »Ein schöner Ort ist das.«
»Ja, allerdings.«
»Ich vermute mal, Sie können mir nicht erzählen, was Sie hier draußen tun?«
»Ich verletze wahrscheinlich schon jegliche Regel, indem ich Sie hierher geholt habe, aber Romano hätte es wohl bemerkt, wenn ihm jemand gefolgt wäre.« Und es war ja auch nicht so, als wüsste derjenige, der die Morde begangen hatte, nicht, wo die Canfields wohnten, dachte Web. Schließlich hatte er ja die Telefonbombe hierher bekommen.
»Romano würde eine interessante Fallstudie abgeben. Ich habe allein während der Fahrt hierher fünf schwere Psychosen ausmachen können, klassisches passivaggressives Verhalten und ein ungesundes Verlangen nach Schmerz und Gewalt.«
»Wirklich? Ich hätte mit mehr gerechnet.«
»Und er ist zudem intelligent, sensibel, sehr emotional, unglaublich unabhängig und bemerkenswert loyal. Da steckt eine ganze Menge dahinter.«
»Wenn Sie mal jemanden brauchen, der Ihnen den Rücken deckt, gibt es keinen besseren als Paulie. Er hat eine raue Schale, aber auch einen weichen Kern. Aber wenn er Sie nicht leiden kann, sollten Sie sich vorsehen. Seine Frau Angie ist ein noch schwierigerer Fall. Ich habe erst kürzlich herausgefunden, dass sie zu O'Bannon geht. Wie einige andere Ehefrauen auch. Ich habe sogar Deb Riner dort gesehen. Sie ist die Witwe von Ted Riner - er war unser Team-Führer.«
»Wir haben ziemlich viele Patienten vom FBI und ähnlichen Behörden. Vor ein paar Jahren hat O'Bannon sogar im FBIGebäude gearbeitet. Als er dann eine Privatpraxis eröffnete, hat er eine ganze Menge Patienten mitgenommen. Das ist ein ziemliches Spezialgebiet, denn Gesetzeshüter haben einen einzigartigen Job, und der Stress und die persönlichen Opfer, die mit dem Beruf verbunden sind, können verheerend sein, wenn man sie nicht behandelt. Ich persönlich finde das alles faszinierend. Und
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