Der Abgrund
werde von einem Mob bestürmt, und meine eigenen Leute rühren keinen Finger, um mir zu helfen. Man hat mich geschlagen, mir niederträchtige Anschuldigungen ins Gesicht geschrien. Ich habe nur getan, was jeder in einer solchen Situation getan hätte.«
»Zeigen Sie ihm, was er getan hat, Bates.« Bates ging stumm zu einem Fernseher, der in einer Ecke stand. Er nahm die Fernbedienung und drückte verschiedene Knöpfe. »Mit besten Empfehlungen von der Medienabteilung«, sagte Winters. Als das Videoband anlief, sah Web das Innere der Kirche während des Trauergottesdienstes. Und er sah, wie Julie Patterson sich den Bauch rieb, in dem sich kein Baby mehr befand, wie sie ihn anschrie, ihm ins Gesicht spuckte und ihn mit all ihrer Kraft schlug. Und wie er einfach nur dastand und alles stumm über sich ergehen ließ. Seine Antwort, dass er alles getan hatte, was er konnte, war auf mysteriöse Weise abhanden gekommen. Zumindest war sie nicht zu hören. Auf dem Band sagte er lediglich zu Julie: »Es tut mir Leid.« Dadurch erweckte Web den Eindruck, dass er selbst auf Lou Patterson geschossen hatte.
»Und das ist noch gar nicht das Beste«, sagte Winter, der nun aufstand und Bates die Fernbedienung aus der Hand nahm. Er ließ das Band weiterlaufen, und Web sah die Szenen, die sich vor seinem Haus abgespielt hatten. Sie waren geschickt geschnitten worden, und es herrschten enge Bildausschnitte vor, sodass die aggressive Stimmung des Mobs verschwunden war. Die einzelnen Reporter wirkten professionell und sogar aufdringlich, aber in jeder Hinsicht rücksichtsvoll. Der Kerl, den Web geschlagen hatte, machte einen besonders heldenhaften Eindruck. Er gab sich keine Mühe, seine blutige Nase vor den Zuschauern zu verbergen, sondern kündigte sachlich den Wahnsinn an, den das Publikum miterleben würde. Und dann war Web zu sehen, der wie ein tollwütiges Tier tobte. Er schrie, fluchte und hob dann seine Waffe. Es schien beinahe, als würde er die Pistole in Zeitlupe ziehen, sodass es wirkte, als würde er sie absichtlich und gezielt einsetzen wollen, nicht wie ein Mann, der um sein Leben kämpfte. Es folgten einige erschreckende Bilder von Nachbarn, die mit ihren Kindern flüchteten, um sich vor diesem Wahnsinnigen in Sicherheit zu bringen. Und dann stand Web ganz allein da. Eiskalt steckte er die Waffe wieder ein und entfernte sich seelenruhig vom Chaos, das er verursacht hatte.
Außer in Hollywood-Filmen hatte Web noch nie zuvor Szenen gesehen, die so geschickt manipuliert worden waren. Er wurde als sadistisches, bösartiges Monstrum dargestellt, der Mann mit dem Frankenstein-Gesicht. Die Kamera hatte die Spuren seiner Verletzungen aus mehreren Blickwinkeln eingefangen, aber nirgendwo wurde erwähnt, wie er dazu gekommen war.
Web schüttelte den Kopf und sah Winters an. »Verdammt«, sagte er, »so war es gar nicht. Ich bin doch nicht Charles Manson.«
Winters regte sich auf.
»Wen interessiert es, ob es die Wahrheit ist oder nicht? Nur die Wahrnehmung zählt. Diese Bilder laufen jetzt auf jedem Fernsehkanal der Stadt. Und sie werden gerade von landesweiten Sendern übernommen. Herzlichen Glückwünsch, Sie haben für dicke Schlagzeilen gesorgt. Der Chef hat eine wichtige Besprechung in Denver verlassen und ist sofort zurückgeflogen, als er darüber informiert wurde. Sie sitzen mit dem Arsch im Feuer, London, und zwar mittendrin.«
Web ließ sich in einen Sessel fallen und sagte nichts. Bates nahm ihm gegenüber Platz und trommelte mit einem Stift auf dem Tisch.
Winters baute sich vor ihm auf, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Web hatte den Eindruck, dass es dem Kerl einen Riesenspaß machte, ihn zusammenzuscheißen.
»Sie wissen vielleicht, dass die Philosophie der Bundespolizei vorsieht, auf so einen Fall mit Nichtstun zu reagieren. Wir haben die Vogel-Strauß-Politik schon des Öfteren eingesetzt. Manchmal funktioniert sie, manchmal nicht, aber die hohen Tiere ziehen diese Form der passiven Verteidigung vor. Je weniger gesagt wird, desto besser.«
»Schön für sie. Ich habe das FBI nicht darum gebeten, nichts für mich zu tun, Buck.«
Bates meldete sich wieder zu Wort. »Nein, Web, diese Sache werden wir nicht mit eingezogenen Köpfen über uns ergehen lassen. Diesmal nicht.« Bates zählte die einzelnen Punkte an den Fingern ab. »Erstens werden die Leute von der Medienabteilung selber einen Film mit den Highlights zusammenstellen. Im Augenblick hält die Welt Sie für einen gefährlichen Irren. Sie
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