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Der Abgrund

Titel: Der Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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jener Nacht vollbracht hatte, übertrafen bei weitem, was er im Hinterhof geleistet hatte; denn er war die ganze Zeit schwer verletzt gewesen und hatte nicht nur einen Kratzer an der Hand gehabt, der lediglich ein Fall für die erste Hilfe war. Sowohl für die Veteranen als auch für die Neuzugänge in der Geiselrettung war Web eine Legende. Und in der von schärfster Konkurrenz geprägten Alpha-Männchen-Gruppe gab es keine bessere Möglichkeit, in der Hackordnung aufzusteigen, als einen schweren Kampf mit Tapferkeit und Geschick zu bestehen. Und es hatte ihn nicht mehr gekostet als das meiste Blut, das sich in seinem Körper befunden hatte, und ein paar Kratzer an seiner Eitelkeit.
    Web konnte sich nicht einmal an die Schmerzen erinnern. Doch als die letzte Kugel abgefeuert und der letzte Mann zu Boden gegangen war, war auch er zusammengebrochen. Er hatte die offene Wunde in seinem Gesicht berührt und gespürt, wie er aus zwei Löchern blutete. Da hatte Web gewusst, dass für ihn nun die Zeit zum Sterben gekommen war.
    Im Krankenwagen war er vom Schock bewusstlos geworden, und als man ihn endlich bei den Ärzten des Medical College of Virginia abgeliefert hatte, war er klinisch so gut wie tot gewesen. Wie er in jener Nacht zurückgekehrt war, blieb ein Rätsel. Web hatte jedenfalls keine Antwort auf diese Frage. Er war nie besonders religiös gewesen, aber danach hatte er begonnen, sich Gedanken über Gott und ähnliche Dinge zu  machen.
    Seine Gesundung war das Schmerzhafteste, was Web jemals durchgemacht hatte. Obwohl er nun ein Held war, gab es keine Garantie, dass er jemals zum HRT würde zurückkehren können. Zum Glück hatten seine Gesichtsverletzungen weder sein Augenlicht noch seine Zielsicherheit beeinträchtigt. Wer nicht perfekt war, hatte im Geiselrettungsteam nichts verloren. Die psychologischen Torturen seiner Rehabilitation waren jedoch viel schlimmer als die physischen Quälereien gewesen. Konnte er feuern, wenn er den Befehl erhielt? Würde er sein Team während einer Krise in Gefahr bringen? Nein, damit hatte er niemals Probleme gehabt - zumindest nicht, bis er auf diesen verdammten Hinterhof gekommen war. Er war zurückgekommen, und alles war wieder so gewesen wie früher. Es hatte fast ein Jahr gedauert, aber niemand konnte sagen, er hätte es nicht verdient, an seinen Platz zurückzukehren, aus eigener Kraft und ohne Sonderbehandlung. Aber was würden die Leute jetzt sagen? Würde er es auch diesmal schaffen, wieder der Alte zu werden? Diesmal war es nur ein Problem in seinem Kopf, und das war hundertmal schwieriger und erschreckender.
    Web ballte eine Faust und trieb sie mitten durch den Spiegel. Er schlug sogar ein Loch in die Wand dahinter. »Ich habe sie nicht sterben lassen, Julie«, sagte er zu den Scherben. Er betrachtete seine Hand. Sie blutete nicht einmal. Seine Glückssträhne schien immer noch anzuhalten. Na bitte.
    Er öffnete den zertrümmerten Medikamentenschrank und nahm ein Fläschchen heraus, in dem sich die unterschiedlichsten Tabletten befanden. Er hatte sie über einen längeren Zeitraum aus verschiedensten Quellen gesammelt, teils offiziell, teils inoffiziell. Er hatte sie gelegentlich benutzt, wenn er Schwierigkeiten mit dem Einschlafen gehabt hatte. Allerdings war er stets vorsichtig gewesen, weil er in der Zeit, als man sein Gesicht wiederaufbaute, beinahe von den Schmerzmitteln
    abhängig geworden wäre.
    Web schaltete das Licht aus, und Frankenstein verschwand.
    Verdammt, jeder wusste doch, dass Monster sich in der Dunkelheit wohl fühlten.
    Er ging hinunter ins Erdgeschoss und stellte sorgfältig alle Flaschen mit alkoholischen Getränken rund um sich auf, wie ein General, der mit seinen Adjutanten den Schlachtplan besprach. Aber er öffnete nicht eine einzige Flasche. Alle paar Minuten klingelte das Telefon, aber Web ging nicht ran. Es klopfte an der Tür, aber er machte nicht auf. Web saß nur da und starrte auf eine Wand, bis es recht spät geworden war. Er kramte in den Tabletten, bis er eine Kapsel nahm und herausholte. Er betrachtete sie und tat sie dann zurück. Er lehnte sich gegen einen Sessel und schloss die Augen. Um vier Uhr morgens schlief er im Sitzen ein. Er hatte sich noch immer nicht die Mühe gemacht, sich das Gesicht zu waschen.

KAPITEL 14

    Sieben Uhr morgens. Web wusste, wie spät es war, weil die Uhr auf dem Kaminsims schlug, als er sich benommen vom Fußboden aufrappelte. Er rieb sich Hals und Genick. Er setzte sich auf, und dabei stieß er

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