Der Abgrund
wenn Kevin ihn nicht überleben würde.
Während Westbrook eins der erfolgreicheren Drogenunterne hmen im Zentrum von D.C. aufgebaut hatte, war er nie wegen irgendetwas verhaftet worden, nicht einmal wegen ungebührlichen Benehmens, obwohl er bereits dreiundzwanzig Jahre im Geschäft war. Er hatte sehr jung angefangen und niemals zurückgeblickt, weil es nichts gab, auf das er hätte zurückblicken können. Er war stolz, dass seine Akte trotz seiner Verbrechen sauber geblieben war.
Das war nicht allein Glück gewesen; in erster Linie hatte er es seinen ausgefeilten Überlebensplänen zu verdanken. Wie er Informationen an die richtigen Leute weitergab, wenn sie benötigt wurden, die es ihm wiederum erlaubten, seine Aktionen friedlich durchzuziehen. Das war der Knackpunkt. Man durfte nie versuchen, das Boot zum Kentern zu bringen oder auf der Straße für Unruhe sorgen. Und man durfte nie auf jemanden schießen, wenn es nicht unvermeidlich war. Man durfte der Polizei keine Schwierigkeiten machen, weil sie über genügend Mittel verfügte, um einem die Hölle heiß zu machen, und damit war niemandem gedient. Sein Leben war auch so schon kompliziert genug. Und ohne Kevin bedeutete sein Leben gar nichts mehr.
Er sah sich zu Macy und Peebles um, seinen beiden Schatten. Er vertraute ihnen genauso, wie er allen anderen vertraute, also nicht besonders. Er trug stets eine Waffe und hatte sie schon bei mehr als nur einer Gelegenheit einsetzen müssen, um sein Leben zu retten. Eine Lektion musste man nur einmal lernen.
Er warf einen Blick zur Tür, durch die gerade der große Toona hereinkam.
»Toona, ich hoffe, du bringst mir Neuigkeiten. Gute Neuigkeiten über Kevin.«
»Bis jetzt leider nichts Neues, Chef.«
»Dann setz deinen lahmen Arsch wieder in Bewegung und komm erst zurück, wenn du etwas hast.«
Toona verzog missmutig das Gesicht und ging. Westbrook sah Peebles an.
»Erzähl mir was, Twan.«
Antoine »Twan« Peebles hatte eine mürrische Miene aufgesetzt und rückte penibel seine teure Lesebrille zurecht. Westbrook wusste, dass der Mann ausgezeichnete Augen hatte, aber er dachte, dass er durch die Brille ehrlicher und seriöser wirkte. Doch er strebte nach etwas, das er niemals sein würde. Westbrook dagegen hatte sich schon vor langer Zeit mit den Tatsachen abgefunden. Im Grunde war die Entscheidung bereits gefallen, als er auf dem Rücksitz eines auf Ziegelsteinen aufgebockten Cadillacs geboren worden war, als seine Mutter seelenruhig Koks geschnupft hatte, während Francis zwischen ihren Beinen herausgekommen und in die Arme ihres damaligen Kerls gefallen war. Der Kerl hatte das Kind abgelegt, die Nabelschnur mit einem Messer durchschnitten und dann die frisch gebackene Mutter gezwungen, ihm einen zu blasen. Seine Mutter hatte ihm später davon erzählt, plastisch und detailliert, als wäre es die komischste Geschichte, die sie jemals gehört hatte.
»Es sind keine guten Neuigkeiten«, sagte Peebles. »Unser Hauptlieferant sagte, er sei sich nicht sicher, ob er uns weitere Ware liefern kann, solange es in deiner Umgebung zu heiß ist. Und unsere Vorräte sind zurzeit nicht gerade üppig.«
»Verdammt, das ist wirklich übel«, sagte Westbrook. Er lehnte sich zurück. Vor Peebles, Macy und seinen anderen Leuten musste er den starken Mann spielen, aber es gab nichts daran zu rütteln, dass er ein großes Problem hatte. Wie jeder andere Zwischenhändler auch hatte Westbrook Verpflichtungen gegenüber jenen, die in der Verteilungskette unter ihm standen. Wenn sie von ihm nicht bekamen, was sie brauchten, würden sie es sich von jemand anderem holen. Dann waren seine Tage gezählt. Und wenn man die Kunden einmal enttäuscht hatte, waren sie nur äußerst selten bereit, irgendwann wieder Geschäfte mit einem zu machen. »Okay, darum werde ich mich kümmern. Dieser Web London, was hast du über ihn rausgekriegt?«
Peebles zog eine Akte aus einem Lederkoffer und rückte sich erneut die Lesebrille zurecht. Zuvor hatte er sein mit Monogramm besticktes Taschentuch benutzt, um sorgfältig den Stuhl abzuwischen, auf den er sich nun setzte. Damit stellte er klar, dass es weit unter seiner Würde war, eine Besprechung im Lagerhaus einer Fleischerei abzuhalten. Peebles mochte dicke Geldbündel in seinen Taschen und ordentliche Kleidung und gute Restaurants und nette Damen, die alles taten, was er von ihnen verlangte. Er trug keine Waffe, und soweit Westbrook wusste, war ihm nicht einmal bekannt, wie man damit schoss.
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