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Der Abgrund

Titel: Der Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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es nichts Schöneres auf der Welt gab, und dennoch war es nur ein Geruch, der nur für kurze Zeit anhalten würde. Und schon bald steckte man wieder mitten im beschissenen Leben.
    In seiner Vision lief der junge Web immer schneller. Es wurde allmählich dunkel, und er wusste, dass seine Mutter ihn in Kürze rufen würde. Nicht zum Essen, sondern um zu den Nachbarn zu laufen und für seinen Stiefvater Zigaretten zu schnorren. Oder um zum Foodway zu rennen, mit ein paar Dollar und einer traurigen Geschichte für Old Man Stein, der den Laden führte und ein größeres Herz hatte, als gut für ihn war. Der junge Web war ständig zum Foodway gerannt. Und immer sang er das traurige irische Lied, dessen Text seine Mutter mit ihm einstudiert hatte. Woher kannte sie es, dieses traurige Lied?, hatte Web sie gefragt. Doch sie hatte es ihm genauso wenig verraten wie die Herkunft seines Vornamens. Web, mit einem b. Was sie sich dabei wohl gedacht hatte?
    Web konnte sich lebhaft an Mr Stein erinnern, wie er mit seiner dicken Brille dahockte, in der alten Strickjacke und der sauberen weißen Schürze. Gnädig nahm er die zerknüllten Dollarnoten von »Webbie« London an, wie er Web meistens nannte. Dann half er dem Jungen, die Lebensmittel für das Abendessen und vielleicht sogar für das Frühstück herauszusuchen. Die Waren kosteten natürlich viel mehr als die zwei Dollar, aber Stein hatte ihn niemals auf das fehlende Geld angesprochen. Doch in anderen Dingen war er nicht so zurückhaltend gewesen.
    »Sag deiner Mutter, dass sie nicht so viel trinken soll«, hatte er Web nachgerufen, wenn er mit zwei Tüten voller Lebensmittel nach Hause gelaufen war. »Und sag dem Teufel, der sich ihr Ehemann schimpft, dass Gott ihn für das bestrafen wird, was er getan hat, wenn ihm nicht die Hand eines Menschen zuvorkommt. Ich bete jede Nacht darum, dass Gott mir diese Ehre zuteil werden lässt. Sag es ihr, Webbie. Und sag es auch ihm!« Old Man Stein war in Webs Mutter verknallt, wie nahezu alle Männer aus der Nachbarschaft, ob sie nun verheiratet waren oder nicht. Der einzige Mann, der nicht in Charlotte London verliebt zu sein schien, war der Mann, mit dem sie verheiratet war.
    Er ging in den ersten Stock und starrte zur ausziehbaren Leiter im Korridor hinauf, die auf den Dachboden führte. Dort hätte er mit seiner Suche beginnen sollen, aber er wollte nicht nach oben gehen. Doch schließlich zog er an der Strippe, klappte die Leiter aus und stieg hinauf. Er schaltete das Licht ein, und sofort suchte sein Blick sämtliche dunklen Winkel ab. Web atmete noch einmal tief durch und sagte sich, dass Feiglinge nur selten etwas aus ihrem Leben machten, dass er ein großer, mutiger Geiselretter war und eine geladene Neun-Millimeter-Pistole bei sich trug. Er wagte sich auf den Dachboden und brachte eine Stunde damit zu, in Erinnerungen an seine Lebensgeschichte zu stöbern, die er lieber hätte ruhen lassen.
    Hier lagen die Schul-Jahrbücher mit den peinlichen Fotos von Jungen und Mädchen, die sich bemühten, älter auszusehen, als sie waren, bevor sie nur wenige Jahre später verzweifelt damit beginnen würden, das Gegenteil zu tun. Web nahm sich sogar die Zeit, die Einträge der Klassenkameraden zu entziffern, in denen sie großartige Pläne für die Zukunft skizzierten, die sich für keinen von ihnen erfüllt hatten, soweit Web wusste, einschließlich seiner selbst. In einem Karton fand er seine alte Studentenjacke und seinen Football-Helm wieder. Es gab einmal eine Zeit, als er sich erinnern konnte, woher jeder einzelne Kratzer auf dem Helm stammte. Jetzt wusste er nicht einmal mehr, welche Nummer er auf dem Trikot getragen hatte. Er fand auch alte und nutzlose Schulbücher und -hefte, auf deren Seiten sich lediglich idiotische Bilder befanden, die von gelangweilten Händen gezeichnet worden waren. Seinen gelangweilten Händen.
    In einer Ecke gab es einen Kleiderständer, an dem Textilien aus vier Jahrzehnten Staub, Schimmel und Mottenlöcher ansetzten. Und alte Aktenordner, die sichtlich unter Hitze und Kälte gelitten hatten. Und Kartons mit Baseball- und Football- Sammelkarten, die inzwischen ein kleines Vermögen wert sein mochten, wenn Web sie nicht als Ziele zum Dartwerfen und
    Luftgewehrschießen missbraucht hätte. Und Teile eines Fahrrads, an das Web sich vage erinnern konnte, zusammen mit einem halben Dutzend kaputter Taschenlampen. Und eine Lehmfigur, die seine Mutter gestaltet hatte und sogar recht gelungen war. Aber sie war von

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