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Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Titel: Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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etwas Verlorenes wiederzugeben.«
    Der Hirte zog Simons Messer mit dem Knochengriff hervor und reichte es ihm mit ehrfürchtiger Gebärde.
    »Man hat es aus dem Hals eines toten Riesen gezogen«, erläuterte Binabik ruhig. »Das Geschenk der Qanuc hat Blut getrunken, um Qanucleben zu verteidigen. Das bedeutet meinem Volk viel.«
    Simon nahm das Messer an sich und schob es in die verzierte Scheide an seinem Gürtel. »Guyop«, antwortete er. »Bitte sag ihnen, dass ich mich freue, es wiederzuhaben. Ich weiß nicht genau, was er mit der Verteidigung von Qanucleben meint – schließlich haben wir alle gegen denselben Feind gekämpft. Aber ich möchte jetzt nicht ans Töten denken.«
    »Natürlich.« Binabik richtete einige kurze Worte an Sisqi und den Hirten. Sie nickten. Sisqi beugte sich vor und berührte in stummem Mitleid Simons Arm, um sich dann umzudrehen und den ungeschickten Snenneq aus der Höhle zu führen.
    »Sisqi leitet die anderen beim Errichten der Steinhügel an«, erklärte Binabik. »Und für dich, Simon-Freund, gibt es heute nichts mehr zu tun. Schlaf.«
    Nachdem er Simon sorgsam den Mantel unter die Schultern geschoben hatte, entschwand Binabik durch die Höhlenöffnung, wobei er die schlafenden Gestalten der übrigen Verletzten vorsichtig umging. Simon sah ihn fortgehen und dachte an Haestan und die anderen Toten. Wanderten sie schon die Straße in jenes vollkommene Schweigen hinein, von dem Simon einen Hauch gespürt hatte?
    Beim Einschlafen war ihm, als sehe er den breiten Rücken seines erkynländischen Freundes in einem Korridor aus weißer Stille verschwinden. Simon fand, dass Haestan nicht den Gang eines Mannes hatte, der einer Sache nachtrauert – aber es war ja auch nur ein Traum.Am folgenden Tage bohrte die Mittagssonne sich durch die Wolken und tupfte Lichtflecken auf Sikkihoqs stolze Hänge. Simons Schmerzen waren geringer, als er befürchtet hatte. Mit Sludigs Hilfe schaffte er es, von der Höhle nach dem Felsplateau zu hinken, wo die Steinhügel gerade vollendet wurden. Es waren zehn, neun kleine und ein großer, die Felsen sorgfältig ineinander geschichtet, damit Wind und Wetter sie nicht verschieben konnten.
    Simon sah noch einmal Haestans bleiches Gesicht mit den blutigen Striemen, bevor Sludig und seine Trollhelfer den Toten in seinen Soldatenmantel hüllten. Haestans Augen waren geschlossen, aber der Eindruck seiner Wunden war so, dass Simon die Illusion, der Gefährte so vieler Monate schlafe nur, nicht aufrechterhalten konnte. Die rohen Diener des Sturmkönigs hatten ihn getötet, und das war eine Tatsache, die man nicht verdrängen konnte. Haestan war ein schlichter Mann gewesen. Er würde den Gedanken an Rache zu schätzen wissen.
    Nachdem sie Haestan zur Ruhe gebettet und die letzten Steine über seinem Hügel eingefügt hatten, wurden auch Binabiks neun Stammesgenossen, Männer und Frauen, in ihre Gräber gesenkt, jeder mit etwas, das ihm teuer gewesen war – so jedenfalls erklärte Binabik es Simon. Als das geschehen war und die neun Steinhügel versiegelt waren, trat Binabik vor und hob die Hand. Die anderen Trolle stimmten einen Gesang an. In vielen Augen, männlich und weiblich, standen Tränen; auch auf Binabiks Wange glänzte ein Tropfen. Nach einer Weile war das Lied beendet. Sisqi kam nach vorn und reichte Binabik eine Fackel und ein kleines Säckchen. Binabik streute etwas aus dem Säckchen auf die Gräber und hielt dann die Flamme daran. Während er weiterging, stieg von jedem Steinhügel ein dünner, vom Bergwind rasch zerfetzter Rauchfaden auf. Als Binabik mit dem letzten Grab fertig war, gab er Sisqi die Fackel zurück und begann eine lange Folge von Qanucworten zu singen. Die Melodie glich der Stimme des Windes, steigend und fallend, steigend und fallend.
    Dann war Binabiks Windlied zu Ende. Er nahm Fackel und Beutel wieder an sich und ließ auch von Haestans Hügel eine Rauchfahne in die Höhe schweben. In der Westerlingsprache sang er:
    »Sedda sagt ihren Kindern
Lingit und Yana,
sagt ihnen: ›Wählt nun:
Vogelweg? Mondweg?
Wählt nun‹, so sagt sie.
    ›Vogelweg – Eiweg.
Eikinder bleiben,
Tod ist die Tür,
die Eltern durchschreiten.
Wählt diesen Weg ihr?
    Mondweg ist Kein-Tod,
ewiges Leben,
kein Türdurchschreiten,
niemals ein Neuland.
Wählt diesen Weg ihr?‹
    Heißblütge Yana,
hellhaarig, lachend,
sagt: ›Ich wähl Mondweg.
Will keine Türen,
halt, was ich habe.‹
    Lingit, ihr Bruder,
langsames Schwarzaug:
›Vogelweg will ich,
Fremdhimmel

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