Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
möchte mich nicht aufdrängen, Herrin. Ich fürchte, ich habe nur an etwas gedacht, das ich in Morgenes’ Buch fand.« Mit seiner verrutschten Augenklappe und dem dünnen rötlichen Haarkranz, der sich in der Nässe kräuselte, sah er aus wie ein erschrockener Specht. Er schien schon wieder davonflattern zu wollen, als die Zauberfrau beruhigend die Hand hob.
»Begleitet uns, Strangyeard, wie Vara gesagt hat. Vielleicht habt Ihr ein Anliegen, bei dem ich Euch besser zu unterstützen vermag.« Der Priester warf ihr einen unruhigen Blick zu. »Kommt. Wir unterhalten uns und gehen dabei zurück zu den anderen.«
Strangyeard schleppte noch immer die losen Blätter aus Morgenes’ Buch mit sich herum. Nach ein paar wortlosen Schritten blätterte er wieder darin herum. »Ich fürchte, ich kann den Abschnitt nicht mehr finden«, meinte er und raschelte mit dem Pergament. »Ich hielt ihn für bedeutsam – es war etwas über Magie – die Kunst, wie Morgenes es nannte. Ich bin verblüfft, was er alles wusste, wirklich verblüfft … ich hätte nie davon geträumt …« Ein triumphierendes Lächeln trat auf sein Gesicht. »Da ist es.« Er kniff die Augen zusammen. »Ein wundervoller Stil …«
Wieder gingen sie schweigend einige Schritte. »Wollt Ihr es uns vorlesen?«, fragte Geloë dann.
»Oh! Natürlich.« Strangyeard räusperte sich und begann.
»… Die Wahrheit ist, dass Gegenstände, die der Kunst nützlich sind, sich grob in zwei Sorten einteilen lassen: solche, die ihren Wert in sich selbst tragen, und solche, deren Wert in ihrer Herkunft liegt. Im Gegensatz zum Aberglauben des Volkes ist ein auf einem Friedhof gepflücktes Kraut nicht deshalb wirksam, weil es von einem derartigen Orte stammt, sondern vielmehr wegen der Kraft des Krautes selbst. Weil aber vielleicht der Friedhof die einzige Stelle ist, an der man es findet, wird ein Zusammenhang hergestellt, der dann fast nicht wieder gelöst werden kann.
Die zweite Sorte nützlicher Gegenstände besteht in der Regel aus ›angefertigten‹ Dingen, deren Kraft in ihrer Herstellung oder ihrem Rohstoff liegt. Die Sithi, die von alters her über kunsthandwerkliche Geheimnisse verfügten,die sie vor den Sterblichen verbargen, erzeugten viele Dinge , deren Herstellung bereits einer Ausübung der Kunst gleichkam, auch wenn die Sithi es nicht unbedingt so nennen wollten. Darum beruht die Macht solcher Gegenstände auf der Art ihrer Fertigung. Ein Beispiel dafür sind die berühmten Pfeile von Vindaomeyo: aus gewöhnlichem Holz geschnitzt, mit den Federn alltäglicher Vögel befiedert, ist doch jeder einzelne ein Talisman von großem Wert.
Die Kraft anderer Gegenstände entstammt dem Stoff, aus dem sie bestehen. Beispiele dafür sind die Großen Schwerter, die in Nisses’ verschollenem Buch erwähnt werden. Sie alle scheinen ihren Wert aus dem Material zu beziehen, aus dem sie hergestellt sind, obwohl der Prozess ihrer Herstellung in jedem einzelnen Fall eine gewaltige Aufgabe war. Minneyar, König Fingils Klinge, bestand aus dem eisernen Kiel seines Bootes, Eisen, das mit den Seeräubern von Rimmersgard aus dem verlorenen Westen nach Osten Ard gekommen war. Dorn, bis vor kurzem das Schwert von Priester Johans edelstem Ritter, Herrn Camaris, war aus den glühenden Metallen eines fallenden Sterns geschmiedet – wie Minneyars Eisen stammte es nicht aus Osten Ard. Und Leid, das Schwert, von dem Nisses behauptet, Ineluki habe damit seinen eigenen Vater, den Erlkönig, erschlagen, war aus dem Hexenholz der Sithi und Eisen zusammengefügt, zwei Stoffen, von denen man stets angenommen hatte, sie stießen einander ab und seien nicht zu vermischen.
Mithin stammt die Kraft solcher Gegenstände, so scheint es, vor allem aus der nicht irdischen Herkunft ihres Rohstoffs. Freilich heißt es in den Geschichten, dass in das Schmieden dieser drei Klingen auch mächtige Zaubersprüche eingeflossen seien, sodass die Macht der Großen Schwerter sowohl in ihren Bestandteilen als auch in ihrer Herstellung begründet sein mag.
Ti-Tuna, das Jagdhorn, im sagenhaften Mezu’tua aus einem Zahn des Drachen Hidohebhi geschnitzt, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie manchmal sowohl die Herstellung als auch das verwendete Material einem Ding Macht verleihen können …«
Strangyeard brach ab. »Es fährt dann mit anderen Dingen fort. Natürlich ist das alles ungemein fesselnd – was für ein Gelehrter dieser Mann war! Aber ich dachte, der Abschnitt über die Schwerter könnte Euch
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