Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
die gedämpfte Melodie des Windgesanges schlängelte, erfüllten ihn mit einer unbestimmten, nagenden Angst. Es dauerte eine Weile, bis er sich erinnerte, dass sie vor dem Kamin des alten Klosters schliefen, gewärmt von glühenden Kohlen, durch Dach und bröckelnde Mauern vor den Elementen geschützt. Der Lautwar Qantaqas einsames Heulen, das aus der Ferne zu ihm herüberhallte. Simons Furcht ließ etwas nach, ohne jedoch ganz zu verschwinden.
War das ein Traum, letzte Nacht? Shem und Ruben und die Stimmen? War es wirklich nur eine Wahnvorstellung oder so wahr, wie es aussah … wie es sich anhörte?
Seit jener Nacht, in der er aus dem Hochhorst entkommen war, hatte er sich nie mehr als Herr über sein eigenes Schicksal gefühlt. In jener Steinigungsnacht, als er – wie, wusste er nicht – Pryrates’ widerwärtige Gedanken aufgefangen und höchst unwillig an dem Ritual teilgenommen hatte, das Elias die entsetzliche Gabe des Schwertes Leid bescherte, hatte sich Simon sogar gefragt, ob er wenigstens noch Herr seines Verstandes war. Seine Träume gingen in ihrer Lebendigkeit weit über bloße nächtliche Wanderungen hinaus. Der Traum in Geloës Haus, in dem ein leichenhafter Morgenes ihn vor einem falschen Boten gewarnt hatte, die wiederholten Heimsuchungen durch das gigantische, alles vernichtende Rad und den Baum-der-ein-Turm-war, weiß unter den Sternen – das alles verfolgte ihn zu hartnäckig, war zu mächtig, als dass es sich als unruhiger Schlaf abtun ließ. Und nun hatte er im Traum der vorigen Nacht Pryrates so deutlich mit einem unnatürlichen Wesen sprechen hören, als lausche er am Schlüsselloch. Mit seinen Träumen aus der Zeit vor diesem letzten, schrecklichen Jahr hatte das alles nicht die geringste Ähnlichkeit.
Als Binabik und Geloë ihn auf die Straße der Träume mitgenommen hatten, war die Vision, die er dort gehabt hatte, diesen anderen Träumen sehr ähnlich gewesen – als träume er, sei dabei aber im Besitz einer wilden, unbeschreiblichen Vorstellungskraft. Vielleicht hatte sich – durch Pryrates, damals auf dem Berg, oder durch ein anderes Ereignis – eine Tür in seinem Inneren geöffnet, durch die er manchmal auf die Traumstraße gelangte. Es klang wie Wahnsinn, aber was klang in dieser Zeit, in der alles auf dem Kopf stand, nicht so. Die Träume mussten eine Bedeutung haben: Jedes Mal, wenn er aufwachte, hatte er das Gefühl, etwas ungeheuer Wichtiges entgleite ihm – aber das Schreckliche war, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, was es war.
Wieder tönte Qantaqas klagender Ruf durch den Sturm, der um die Mauern des Klosters tobte. Simon wunderte sich, dass der Troll nicht aufstand, um nach seinem Reittier zu sehen, aber das Geräusch von Binabiks und Sludigs Schnarchen wurde nicht leiser. Simon wollte hinausgehen und die Wölfin ins Innere locken – sie klang so einsam und verlassen, und es war so fürchterlich kalt dort draußen –, musste jedoch feststellen, dass eine schwere Trägheit seine Glieder an den Boden fesselte und er einfach nicht auf die Füße kam. Er strengte sich an, aber es war vergeblich. Seine Glieder hätten genauso gut aus Eschenholz sein können, so wenig wollten sie sich regen.
Plötzlich fühlte er sich ungeheuer schläfrig. Er wehrte sich gegen diese Benommenheit, die ihn erbarmungslos hinabzog; aber schließlich verstummte Qantaqas fernes Heulen, und er glitt einen langen Abhang hinunter in tiefe Bewusstlosigkeit …
Als er zum zweiten Mal aufwachte, waren die letzten Kohlen schwarzgebrannt. Das Kloster lag in tiefer Dunkelheit. Eine kalte Hand berührte sein Gesicht. Erschrocken schnappte er nach Luft, bekam aber kaum genug davon in seine Lungen. Noch immer fühlte sein Körper sich schwer wie Stein an, und er konnte sich nicht rühren.
»Hübsch«, flüsterte Skodi, die, ein dunkler Schatten, den er mehr ahnte als sah, groß und breit über ihm aufragte. Sie streichelte seine Wange. »Und mit dem allerersten Bart. Hübsch bist du. Dich behalte ich.«
Hilflos versuchte Simon, sich ihren Fingern zu entwinden.
»Sie wollen dich auch nicht, nicht wahr?«, sagte Skodi summend wie zu einem Kleinkind. »Ich kann es spüren. Skodi weiß. Verstoßen hat man dich. Ich kann es hören, in deinem Kopf. Aber nicht deshalb habe ich Vren befohlen, er sollte dich herbringen.«
Sie ließ sich im Finstern neben ihm nieder, sackte zusammen wie ein Zelt, das sich von seinen Pfählen losreißt. »Skodi weiß, was du hast. Ich habe es in meinen Ohren singen
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