Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
hören, in meinen Träumen gesehen. Die Herrin Silbermaske will es haben und ihr Gebieter Rotauge auch. Sie wollen das Schwert, das schwarze Schwert, und wenn ich es ihnen gebe, werden sie nett zu mir sein. Sie werdenSkodi liebhaben und ihr Geschenke machen.« Sie nahm eine Haarlocke von ihm zwischen ihre dicken Finger und zog kräftig. Der stechende Schmerz fühlte sich an, als käme er von weit, weit her. Gleich darauf strich sie, wie zur Belohnung, vorsichtig mit der Hand über Simons Kopf und Gesicht.
»Hübsch«, wiederholte sie. »Ein Freund für mich – ein Freund in meinem Alter. Darauf habe ich gewartet. Ich werde dich von den Träumen befreien, die dich quälen. Ich werde dich von allen deinen Träumen befreien. Ich kann das, weißt du.« Sie senkte die flüsternde Stimme noch mehr, und Simon merkte zum ersten Mal, dass das schwere Atmen seiner beiden Freunde aufgehört hatte. Er fragte sich, ob sie schweigend im Dunkel lagen und darauf warteten, ihn zu retten. Wenn das der Fall war, betete er, dass sie es bald tun würden. Sein Herz schien so mutlos wie die bleiernen Glieder, aber die Furcht pochte in ihm wie ein geheimer, schmerzhafter Puls.
»Sie haben mich aus Haethstad fortgejagt«, murmelte Skodi. »Meine eigene Familie und die Nachbarn. Eine Hexe wäre ich, haben sie gesagt, und ich würde die Leute verwünschen. Haben mich fortgejagt.« Zu Simons Grauen fing sie an zu schniefen. Als sie weitersprach, erstickten Tränen die Worte. »Ich hab’s ihnen aber gezeigt. Als Vater betrunken war und schlief, erstach ich Mutter mit seinem Messer und steckte es ihm dann in die Hand. Er brachte sich um.« Ihr Lachen war bitter, aber ohne Reue. »Ich konnte immer Dinge sehen, die andere nicht sahen, an Dinge denken, von denen sie nichts wissen wollten. Und als der tiefe Winter kam und nicht weggehen wollte, da konnte ich allmählich auch Dinge tun. Jetzt kann ich vieles, das sonst niemand kann.« Ihre Stimme hob sich triumphierend. »Ich werde immer stärker. Stärker und stärker. Wenn ich Herrin Silbermaske und Fürst Rotauge das Schwert gebe, nach dem sie suchen, das singende schwarze Schwert, das ich in meinen Träumen höre, dann werde ich sein wie sie. Dann werden die Kinder und ich dafür sorgen, dass es ihnen allen leid tut.«
Beim Reden ließ sie gedankenverloren die kalte Hand von Simons Stirn in sein Hemd gleiten und auf seiner nackten Brust spielen, als streichele sie einen Hund. Der Wind hatte sich gelegt, und in der schaurigen Stille, die jetzt herrschte, wusste Simon plötzlich, dassman seine Freunde fortgeschafft hatte. In dem finsteren Raum befanden sich nur er und Skodi.
»Aber dich werde ich behalten«, sagte sie. »Dich behalte ich für mich selbst.«
15
In Gottes Mauern
ater Dinivan stocherte im Essen herum und starrte dabei in seine Schale, als ließe sich aus den Olivenkernen und Brotkrumen eine hilfreiche Botschaft herauslesen. Kerzen brannten über die ganze Länge des Tisches und tauchten den Speisesaal in ein grelles Licht. Pryrates redete. Seine Stimme klang laut und grob wie ein Messinggong.
»Ihr seht also, Eure Heiligkeit, dass alles, was König Elias wünscht, die Anerkennung einer einzigen Tatsache ist: Die Mutter Kirche mag Einfluss auf die Seelen der Menschen nehmen, aber sie hat kein Recht, sich in das zu mischen, was deren legitimer Herrscher über ihre materiellen Körper verfügt.«
Der haarlose Priester grinste selbstzufrieden. Dinivans Mut sank, als er auch den Lektor ausdruckslos zurücklächeln sah. Ranessin musste doch wissen, dass Elias damit sagen wollte, Gottes Hirten auf Erden stünde weniger Macht zu als jedem irdischen König! Warum saß er da und antwortete nicht?
Langsam nickte der Lektor. Er sah über den Tisch zu Pryrates hinüber, dann kurz zu Herzog Benigaris, dem neuen Gebieter von Nabban, den der scharfe Blick des Lektors ein wenig nervös zu machen schien, sodass er sich hastig mit der Rückseite seines Brokatärmels das Fett vom Kinn wischte. Das Fest am Vorabend von Hlafmansa war im Allgemeinen ein religiöses und zeremonielles Ereignis. Obwohl Dinivan wusste, dass der Herzog ganz und gar die Kreatur von Pryrates’ Herrscher Elias war, schien sich Benigaris in diesem Augenblick eher ein Mehr an Zeremonie und dafür weniger Feindseligkeit zu wünschen.
»Der Hochkönig und sein Gesandter Pryrates wollen nur dasBeste für Mutter Kirche, Heiligkeit«, bemerkte Benigaris schroff. Er konnte Ranessins Blick nicht aushalten; es war, als sähe er
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