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Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Titel: Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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»Reichsgraf«, wiederholte er rücksichtslos. »König Elias hat ihn auf mein Ersuchen zum Reichsgrafen gemacht. Als Zeichen seiner Freundschaft für Nabban.«
    Ranessins schmales Gesicht verzog sich zu einer kaum verhehlten Miene des Abscheus. »Wir wissen, dass Ihr dem Hochkönig nahesteht, Benigaris. Wir wissen auch, dass Ihr es seid, der Nabban regiert. Heute aber sitzt Ihr an unserem Tisch im Hause Gottes – an meinem Tisch –, und wir fordern Euch auf zu schweigen, bis der Hohepriester der Mutter Kirche seine Rede beendet hat.«
    Der zornige Ton des Lektors erschreckte Dinivan. Ranessin war sonst ein milder Mann. Zugleich aber ermutigte ihn die unerwartete Kraft. Benigaris’ Schnurrbart zitterte wütend, aber er griff mit der Unbeholfenheit eines verlegenen Kindes nach seinem Weinbecher.
    Ranessins blaue Augen richteten sich auf Pryrates. In der förmlichen Art, von der er so selten Gebrauch machte und die ihm doch so selbstverständlich von den Lippen floss, fuhr er fort: »Wie wir erwähnt haben, leuchtet die Welt, die Ihr und Elias und Benigaris uns predigt, in mancher Hinsicht ein. Es ist eine Welt, in der Alchimisten und Monarchen nicht nur über das Schicksal der Körper von Menschen bestimmen, sondern auch über ihre Seelen, und in der die Handlanger des Königs solche irregeleiteten Seelen anstiften, sich zum Ruhm falscher Götzen zu verbrennen, wenn es ihren Zwecken dient. Eine Welt, in der die Ungewissheit eines Gottes, den man nicht sehen kann, durch die Gewissheit eines schwarzen, feurigen Geistes ersetzt wird, der auf der Erde lebt, im Herzen eines Berges aus Eis.«
    Bei diesen Worten schossen Pryrates’ haarlose Brauen in die Höhe. Dinivan empfand plötzliche kalte Freude. Gut. Immerhin gab es noch Überraschungen für das Scheusal.
    »Hört mich an!« Ranessins Stimme war stärker geworden, sodass es kurz so schien, als sei es nicht nur im Raum still geworden, sondern die ganze Welt mit ihm, als schwebe in diesem Augenblick die Tafel mit ihren Kerzen auf dem absoluten Scheitelpunkt der Schöpfung. »Diese Welt – Eure Welt, die Welt, die Eure hinterlistigen Worte uns predigen – ist nicht die Welt der Mutter Kirche. Schon lange wissen wir von einem dunklen Engel, der über die Erde schreitetund seine finsteren Hände ausstreckt, um die Herzen aller Menschen in Osten Ard mit Furcht und Schrecken zu erfüllen – aber unsere Geißel ist der Erzfeind selber, der unversöhnliche Feind des göttlichen Lichtes. Ob nun aber Euer Bundesgenosse wirklich dieser jahrtausendealte Gegner oder nur ein anderer boshafter Diener der Finsternis ist – die Mutter Kirche hat sich stets gegen seinesgleichen gewehrt … und wird es immer tun.«
    Einen endlosen Augenblick lang schienen alle im Saal den Atem anzuhalten.
    »Ihr wisst nicht, was Ihr da sagt, Alter.« Pryrates’ Stimme war ein schwefliges Zischen. »Ihr seid geschwächt, und Euer Geist geht irr.«
    Entsetzlich war, dass nicht einer der Escritoren laut gegen diese Bemerkung protestierte oder eine eigene Meinung vertrat. Mit weit aufgerissenen Augen starrten sie auf Ranessin, der sich über den Tisch beugte und gelassen dem wütenden Blick des Priesters standhielt. Überall im Bankettsaal schienen die Lichter trüber zu brennen, fast zu verlöschen, sodass nur noch diese beiden hell beleuchtet waren, der eine scharlachrot, der andere weiß, und ihre Schatten immer länger wurden … immer länger …
    »Lügen, Hass und Gier«, sagte der Lektor leise, »sind uns vertraute, uralte Feinde. Es kommt nicht darauf an, unter wessen Banner sie marschieren.« Er stand auf, eine blasse, schmale Gestalt, und hob die Hand. Wieder brannte in Dinivan die grimmige, grenzenlose Liebe, die ihn dazu getrieben hatte, als demütiger Bittsteller vor dem Geheimnis der göttlichen Bestimmung des Menschen den Rücken zu beugen und sein Leben dem Dienst an diesem bescheidenen und großartigen Mann zu weihen, an ihm und der Kirche, die in seiner Person lebendig wurde.
    Mit kalter Bedächtigkeit zeichnete Ranessin das Symbol des Baumes vor sich in die Luft. Wieder schien die Tafel unter Dinivans Händen zu beben, aber diesmal glaubte er nicht, dass der Alchimist schuld daran war. »Ihr habt Türen geöffnet, Pryrates, die für alle Zeiten verschlossen bleiben sollten«, verkündete der Lektor. »In Eurem Stolz und Eurer Torheit habt Ihr und der Hochkönig eine böse Macht in diese Welt gebracht, die vorher schon unter vielerlei Leid ächzte. Unsere Kirche – meine Kirche

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