Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
bieten kann.«
»Lluth ist tot, habe ich gehört«, sagte Guthwulf langsam. Er selbst hatte den König in seinem Palast, dem Taig, aufgesucht. Das Blut war ihm heiß durch die Adern geschossen, als er den Hirtenkönig an seinem eigenen Hof beleidigt hatte. Das lag wenige Monate zurück. Warum war ihm jetzt so elend, so feige zumute? »Warum rennen alle diese Schurken aus ihrer angestammten Heimat fort?«
Der Kastellan warf ihm einen so verwunderten Blick zu, als hätte Guthwulf ihn plötzlich gefragt, in welcher Himmelsrichtung die Sonne aufging. »Warum? Wegen der Kriege und Plünderungen an ihrer Grenze, wegen der chaotischen Zustände in der Frostmark. Und natürlich wegen der Weißfüchse.«
»Der Weißfüchse?«
»Ihr werdet wohl von den Weißfüchsen gehört haben, Herr«, fragte der Kastellan verblüfft. »Gewiss habt Ihr das, denn sie kamen doch dem Heer zu Hilfe, das Ihr vor Naglimund befehligt habt.«
Guthwulf sah auf und zupfte nachdenklich an seiner Oberlippe.
»Du meinst die Nornen?«
»Ja, Herr. Weißfüchse ist der Name, den das einfache Volk ihnen gibt, wegen ihrer fahlen Haut und der Fuchsaugen.« Er unterdrückte ein Schaudern. »Weißfüchse.«
»Aber was ist mit ihnen, Mann?«, schnarrte der Graf. Als die Antwort nicht sofort kam, wurde er lauter. »Was haben sie mit meiner Ernte zu schaffen, bei Ädon!«
»Aber sie kommen doch nach Süden, Graf Guthwulf«, versetzteder Kastellan überrascht. »Sie verlassen ihr Nest in den Ruinen von Naglimund. Leute, die im Freien schlafen mussten, haben sie nachts über die Berge wandern sehen wie Gespenster. Sie reisen, wenn es dunkel ist, in kleinen Gruppen, und immer in südlicher Richtung – ihr Ziel ist der Hochhorst.« Er sah sich nervös um, als werde ihm erst jetzt klar, was er gesagt hatte. »Sie kommen hierher .«
Als der Kastellan gegangen war, blieb Guthwulf noch lange sitzen, einen Weinbecher in der Hand. Er griff nach seinem Helm, um auch ihn zu polieren, und sah auf die Elfenbeinhauer, die aus der Helmkappe hervorragten. Dann legte er ihn unverrichteter Dinge wieder hin. Sein Herz war nicht bei der Sache, obwohl der König von ihm erwartete, dass er in ein paar Tagen die Erkyngarde ins Feld führte und seine Rüstung seit der Belagerung von Naglimund nicht mehr gründlich gewartet worden war. Seit der Belagerung war ohnehin alles schiefgelaufen. Die Burg schien voller Gespenster zu sein, und das verdammte graue Schwert und seine beiden Bruderklingen verfolgten ihn in seinen Träumen, sodass er sich beinahe fürchtete, zu Bett zu gehen und einzuschlafen.
Er stellte den Wein hin und starrte in die flackernde Kerze. Seine traurige Stimmung besserte sich leicht: Zumindest hatte er sich alles nicht nur eingebildet. Die unzähligen merkwürdigen Geräusche in der Nacht, die huschenden Schatten in Gängen und Höfen, Elias’ mitternächtliche Besucher, die so plötzlich verschwanden – das alles hatte den Grafen von Utanyeat allmählich an seinem gesunden Menschenverstand zweifeln lassen. Als der König ihn gezwungen hatte, das verfluchte Schwert zu berühren, war Guthwulf überzeugt gewesen, dass sich, ob nun durch Hexerei oder auf andere Weise, in seinen Gedanken ein Spalt geöffnet und den Wahnsinn eingelassen hatte, der ihn am Ende zerstören würde. Aber es waren keine wunderlichen Einfälle gewesen, keine Ausgeburten seiner Phantasie, der Kastellan hatte es ja bestätigt. Die Nornen kamen zum Hochhorst, die Weißfüchse waren im Anzug.
Guthwulf zog sein Messer aus der Scheide und warf es zischend in Richtung Tür. Bebend blieb es in der dicken Eiche stecken. Er schlurfte durchs Zimmer und zog es heraus, um es nochmals zu werfenund mit einem Ruck aus dem Holz zu reißen. Draußen in den Bäumen schrillte der Wind. Guthwulf fletschte die Zähne. Wieder fuhr das Messer krachend in die schweren Bohlen.
Simon lag in Schlaf versunken, der kein Schlaf war, und die Stimme in seinem Kopf fuhr fort.
»Siehst du, schweigsamster meiner Söhne, vielleicht war das der Punkt, an dem unsere Sorgen begannen. Ich habe gerade von den Zwei Familien gesprochen, als seien wir die einzigen Überlebenden von Venyha Do’sae gewesen; aber es waren die Schiffe der Tinukeda’ya, die uns über die Große See trugen. Weder wir Zidaya noch unsere Brüder, die Hikeda’ya, hätten dieses Land lebend erreicht, wären nicht Ruyan der Seefahrer und sein Volk gewesen – aber zu unserer Schande behandelten wir die Kinder des Meeres hier genauso schlecht wie einst
Weitere Kostenlose Bücher