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Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Titel: Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Handschuhe waren jetzt so voller Harz, dass er die Finger nicht mehr auseinanderbekam und die Hand nur vom Messer lösen konnte, wenn er mit dem Fuß auf die Klinge trat –, bis die beiden Haufen so hoch waren wie seine Windmauer. Inzwischen war es fast zu dunkel, um noch etwas zu erkennen; selbst die großen Bäume verschwammen schnell zu trüben Schatten vor dem Hintergrund des fast leuchtenden Schnees.
    Simon legte sich auf sein Bett aus Ästen, bog die Knie und zog die langen Beine an den Körper, um so viel wie möglich davon mit seinem Mantel zu umwickeln. Dann deckte er sich mit den restlichen Zweigen zu. Mit ungeschickten, klebrigen Fingern bemühte er sich nach Kräften, sie so ineinanderzuflechten, dass keine größeren Stellen ungeschützt blieben. Zum Schluss griff er durch die Decke aus Tannenzweigen mühsam nach oben und zog sich die letzten paar Äste über den Kopf. Dann drehte er das Gesicht zur Seite, bis es zum größten Teil in seiner Kapuze steckte. Die Haltung war entsetzlich unbequem und ganz und gar unnatürlich, aber er konnte im Schutz der Kapuze den eigenen flüsternd warmen Atem wahrnehmen und hörte wenigstens für eine kleine Weile auf zu zittern.
    Als er sich hinlegte, war er so erschöpft, dass er erwartet hatte, in kürzester Zeit einzuschlafen, trotz der kitzelnden Zweige und der verkrampften Beine. Stattdessen stellte er fest, dass er im Lauf der ersten Nachtstunde nur immer wacher wurde. Die Kälte war zwar nicht mehr so schneidend wie vorher, als er gegen den Wind durch den Wald gelaufen war, aber dennoch durchdrang sie seinen ärmlichen Schutzwall und sickerte ihm in Mark und Bein. Es war eine stumpfe und unnachgiebige Kälte, geduldig wie Stein.
    Dass es so kalt war, erschien ihm schon schlimm genug, aber durch den Donner seines Atems und das Trommeln seines Herzens konnte er noch andere, fremdartigere Geräusche hören. Er hatte vergessen, wie ganz anders ein nächtlicher Wald klang, wenn kein Freund neben einem schlief. Schmerzlich klagte der Wind in den Bäumen; andere Laute schienen bedrohlich verstohlen und doch laut genug, um im Trauerlied des Windes vernehmbar zu sein. Nachdem er so viele grauenhafte Dinge erlebt hatte, hegte Simon nicht dieeitle Hoffnung, die Nacht sei frei von Gefahren – ganz bestimmt waren es verdammte Seelen, die er da im Sturm heulen hörte, polternde Hunen, die auf der Jagd nach warmem Blut den Wald durchstreiften!
    Während die Nacht verstrich, merkte Simon, dass von neuem schwarze Angst in ihm aufstieg. Er war so schrecklich allein. Ein verirrter, todgeweihter Narr von einem Mondkalb war er, der sich nie in die Angelegenheiten von Leuten hätte einmischen sollen, die ihm an Macht und Einfluss so deutlich überlegen waren. Selbst wenn er diese Nacht überlebte und nicht den Klauen irgendeines lallenden, gesichtslosen Nachtgeschöpfs zum Opfer fiel, würde er ja doch bei Tageslicht verhungern. Gewiss, wenn er Glück hatte, hielt er ein paar Tage durch, vielleicht sogar Wochen, aber nach allem, was Binabik gesagt hatte, lag der Stein des Abschieds viele Meilen entfernt – immer vorausgesetzt, dass er überhaupt den Weg dorthin fand und es schaffte, sich durch das wenig einladende Innere des Aldheorte zu kämpfen. Simon wusste, dass seine Waldläuferkünste nicht ausreichten, um eine lange Verbannung in der Wildnis zu überstehen. Er war kein Hans Mundwald, nicht einmal annähernd. Ebenso gering war die Möglichkeit, dass er in diesem entlegenen Stück des nordöstlichen Waldes jemandem begegnete, der ihm helfen konnte, schon gar nicht bei diesem entsetzlichen Wetter.
    Das Schlimmste aber war, dass seine Freunde längst nicht mehr in der Nähe waren. Mitten am Nachmittag hatte er sich plötzlich dabei ertappt, dass er laut und verzweifelt zu schreien anfing, wieder und wieder die Namen der beiden rief, bis seine Kehle rauh war wie der Hackklotz eines Schlächters. Zuletzt, kurz bevor seine Stimme versagte, hatte er geglaubt, auch die Namen der Toten gebrüllt zu haben. Das war der schrecklichste Gedanke von allen, der Weg, der sich gefährlich weit dem Abgrund näherte: Wer heute nach den Toten rief, der würde morgen mit ihnen sprechen und wenig später ganz bei ihnen sein – zumindest im lebendigen Tod des unheilbaren Wahnsinns, der vielleicht schlimmer war als der wirkliche.
    Er lag unter den Ästen und zitterte, aber nicht mehr allein der Kälte wegen. Es wollte dunkel in ihm werden, aber Simon wehrte sich. Er wusste, dass er noch nicht

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