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Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Titel: Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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eine feingeschnittene Maske mit einer anderen. Trotz der Geschmeidigkeit und jugendlichen Kraft, die sie ausstrahlte, erkannte Simon tief in ihren katzenhaft gelassenen Goldaugen das uralte Licht der Sithi, das sie mit Jiriki teilte.
    »Seoman«, sagte sie und lachte wispernd. Die weiß verhüllten Finger berührten seine Stirn, leicht und kraftvoll wie Vogelschwingen. »Seoman Schneelocke.«
    Simon zitterte. »W-w-wer …?«
    » Aditu .« In ihren Augen lag sanfter Spott. »Meine Mutter nannte mich Aditu no-Sa’onserei. Man hat mich zu dir geschickt.«
    »Gesch-schickt? W-w-wer …?«
    Aditu legte den Kopf schief und reckte den biegsamen Hals, wobei sie Simon betrachtete wie ein verwahrlostes, aber interessantes Tier, das auf der Türschwelle hockt. »Mein Bruder, Menschenkind. Jiriki – natürlich.« Sie sah Simon, der langsam hin- und herzuschwanken begann, verwundert an. »Warum schaust du mich so sonderbar an?«
    »Wart Ihr … in meinen Träumen?«, fragte er wimmernd.
    Unvermittelt setzte er sich vor ihren nackten Füßen in den Schnee. Aditu fuhr fort, ihn neugierig anzustarren.
    »Gewiss habe ich Stiefel«, erklärte sie ihm später. Irgendwie hatte sie ein Feuer angezündet, den Schnee beiseitegescharrt, das Holz gleich neben der Stelle, an der Simon zusammengebrochen war, aufgestapeltund mit ein paar raschen Bewegungen ihrer langen, schlanken Finger in Brand gesetzt. Simon blickte angespannt in die Flammen und versuchte seinen Verstand wieder in geregelte Bahnen zu zwingen. »Ich habe sie nur ausgezogen, um unbemerkt an dich heranzukommen.« Sie musterte ihn ausdruckslos. »Ich wusste nicht, was das war, was da so einen grässlichen Lärm verursachte, aber natürlich warst du es. Trotzdem, das Gefühl von Schnee auf der Haut ist nicht ohne Reiz.«
    Simon dachte an Eis unter nackten Zehen und schauderte. »Wie habt Ihr mich gefunden?«
    »Der Spiegel. Sein Lied hat große Macht.«
    »Das heißt … wenn ich den Spiegel verloren hätte, w-würdet Ihr m-mich v-vielleicht gar nicht ges-sehen haben?«
    Aditu betrachtete ihn ernsthaft. »Oh, irgendwann wäre ich schon auf dich gestoßen, aber ihr Sterblichen seid gebrechliche Geschöpfe. Viel Brauchbares wäre wohl nicht mehr zu finden gewesen.« Ihre Zähne blitzten; es konnte ein Lächeln sein. Sie kam Simon gleichzeitig menschlicher und weniger menschlich als Jiriki vor – manchmal von fast kindlichem Leichtsinn, dann aber wiederum viel exotischer und fremdartiger als ihr Bruder. Viele Eigenheiten, die Simon an Jiriki aufgefallen waren, vor allem die katzenhafte Anmut und Gelassenheit, schienen bei seiner Schwester noch ausgeprägter.
    Während Simon sich hin- und herwiegte und immer noch nicht recht wusste, ob er wirklich wach und bei Verstand war, griff Aditu in ihren weißen Mantel, der sie, zusammen mit den weißen Hosen, im Schnee fast unsichtbar gemacht hatte, und holte ein in glänzenden Stoff gewickeltes Päckchen hervor, das sie Simon reichte. Er nestelte eine ganze Weile unbeholfen an der Verpackung herum, bevor es ihm gelang, an den Inhalt heranzukommen: ein Laib goldbraunen Brotes, das frisch aus dem Ofen zu kommen schien, und eine Handvoll dicker rosa Beeren.
    Simon konnte nur ganz kleine Bissen nehmen, damit ihm nicht übel wurde. Trotzdem fühlte sich jeder kleinste Bissen an wie ein Augenblick im Paradies.
    »Woher habt Ihr das?«, fragte er, das Gesicht tief in den Beeren.
    Aditu sah ihn lange an, als grübele sie über eine wichtige Entscheidungnach. Als sie endlich sprach, geschah es mit einer gewissen aufgesetzten Sorglosigkeit. »Du wirst es bald sehen. Ich werde dich hinführen – auch wenn so etwas niemals zuvor geschehen ist.«
    Auf den rätselhaften Schluss des Satzes ging Simon nicht ein. Er fragte nur: »Und wohin wollt Ihr mich bringen?«
    »Zu meinem Bruder, wie er es von mir verlangt hat«, versetzte Aditu. Ihr Gesicht war ernst, aber in den Augen funkelte ein wildes Licht. »In die Heimat meines Volkes – nach Jao é-Tinukai’i.«
    Simon kaute zu Ende und schluckte. »Ich gehe überallhin, solange es dort ein Feuer gibt.«

21
Grasprinz

    ag nichts«, murmelte Hotvig, »aber sieh dir den Rotmantel dort drüben am Zaun an.«
    Deornoth folgte dem unauffälligen Wink des Thrithingmannes und bemerkte einen Rotschimmel. Das Pferd musterte Deornoth mit wachsamem Blick und trat von einer Seite auf die andere, als könnte es jeden Augenblick durchgehen.
    »Allerdings.« Deornoth nickte. »Ein stolzes Tier.« Er drehte sich um.

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