Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
und die drei Großen Schwerter aus Simons Vision in Valada Geloës Haus. Die dicke Skodi und das Unwesen, das im Feuer auf dem Hof gelacht hatte, drehten sich im Kreise und verschmolzen mit dem Wahnsinn des Udunbaumes und dem ausdruckslosen Blick des großen weißen Lindwurms Igjarjuk. Auch Dorn war da, ein dicker schwarzer Strich quer über das Licht der Erinnerung. Während die Gedanken an ihm vorüberflogen, spürte Simon noch einmal den brennenden Schmerz des Drachenblutes und das schreckliche Gefühl der Verbundenheitmit der sich drehenden Welt, der ungeheuren Fülle von Hoffnung und Schmerz allen Lebens, die ihn schwindlig machte. Endlich vergingen die Bilder wie Reste eines Traums.
Langsam gingen die Lichter wieder an. Simons Kopf ruhte in Jirikis Schoß. Die Wunde auf seiner Wange pochte.
»Verzeiht mir, Erste Großmutter«, sagte Jiriki wie aus weiter Ferne. »Aber war das nötig? Er hätte Euch alles gesagt, was er wusste.«
Lange schwieg Amerasu. Als sie endlich sprach, kamen die Worte mit großer Anstrengung. Die Stimme schien älter als vorher. »Er hätte mir nicht alles sagen können, Weidengerte. Die Dinge, die mir am wichtigsten scheinen, sind ihm selbst nicht einmal bewusst.« Sie sah auf Simon hinunter, müde und fast zärtlich. »Ich bedaure es aufrichtig, Menschenkind. Ich hatte kein Recht, dein Gedächtnis zu plündern, aber ich bin alt und habe Angst und nicht mehr viel Geduld. Jetzt ist meine Angst noch größer geworden.«
Sie versuchte sich aufzurichten. Jiriki streckte die Hand aus, um ihr zu helfen. Unsicher erhob sie sich vom Sessel und verschwand in den Schatten. Gleich darauf kam sie mit einem Becher Wasser zurück, den sie Simon mit eigenen Händen an die Lippen hielt. Er trank durstig. Das Wasser war kalt und süß, mit einem winzigen Beigeschmack von Holz und Erde, als hätte man es aus einem hohlen Baumstumpf geschöpft. In ihrem weißen Gewand kam ihm Amerasu vor wie eine Heilige aus einem Kirchenbild.
»Was … habt Ihr getan?«, fragte er und setzte sich auf. In seinen Ohren summte es, und vor seinen Augen tanzten kleine glänzende Flecken.
»Erfahren, was ich wissen musste«, erwiderte Amerasu. »Ich wusste, dass ich dich in Jirikis Spiegel gesehen hatte, aber ich hielt es für einen Zufall, ein Missgeschick. Die Straße der Träume hat sich in letzter Zeit sehr verändert und ist selbst für die Erfahrenen so dunkel und unvorhersehbar geworden wie früher für solche, die nur im Schlaf dorthin gelangten. Ich verstehe jetzt, dass unsere Begegnung damals keine Laune des Schicksals war.«
»Wollt Ihr sagen, dass Eure Begegnung mit Simon von jemandem beabsichtigt war, Erste Großmutter?«, fragte Jiriki.
»Nein. Ich meine nur, dass die Grenzen zwischen jener Welt und der unseren sich aufzulösen beginnen. Jemand wie dieses Menschenkind, den es hierhin und dorthin verschlagen hat, der durch reinen Zufall oder irgendeinen unvorstellbaren Plan in so viele mächtige und gefährliche Beziehungen zwischen der Traumwelt und der wachenden Welt geraten ist …« Sie verstummte und setzte sich vorsichtig wieder hin, bevor sie weitersprach. »Es ist, als lebte er am Rand eines großen Waldes. Wenn die Bäume weiter ins Land wachsen, ist es sein Haus, über dessen Schwelle die Wurzeln zuerst dringen. Wenn die Wölfe im Wald der Hunger plagt, heulen sie zuerst unter seinem Fenster.«
»Was … habt Ihr … in meinen Erinnerungen … gesehen?«, fragte Simon mühsam. »Über … Über Ineluki?«
Ihr Gesicht erstarrte. »Zu viel. Ich glaube, dass ich jetzt den schrecklichen und scharfsinnigen Plan meines Sohnes durchschaue, aber ich muss noch eine Weile darüber nachdenken. Selbst in dieser Stunde darf mich die Furcht nicht zu törichter Hast verleiten.« Sie legte die Hand an ihre Stirn. »Wenn ich recht habe, ist die Gefahr für uns größer, als wir je geahnt haben. Ich muss mit Shima’onari und Likimeya sprechen. Ich hoffe nur, dass sie auf mich hören – und dass es noch nicht zu spät ist. Es ist möglich, dass wir anfangen, Brunnen zu graben, während die Dächer unserer Häuser längst Feuer gefangen haben.«
Jiriki half Simon, sich aufzurichten. »Meine Eltern müssen zuhören. Jeder kennt Eure Weisheit, Erste Großmutter.«
Amerasu lächelte traurig. »Einst waren die Frauen des Hauses Sa’onserei die Hüterinnen des Wissens. Die Älteste von ihnen hatte das letzte Wort. Wenn Jenjiyana von den Nachtigallen sah, was recht war, sprach sie, und so geschah es. Seit der Flucht
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