Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
hineinrennen. Wieder ein anderer Teil kauerte sich tief in ihrem Inneren zusammen, ein Schatten der Reue, mit eisernen Banden an ihr Herz gekettet.
Der dünne Lichtstreifen, der durch den Türspalt drang, fing sich in seinem schimmernden Haar, als Aspitis sich an sie presste. Und wenn nun jemand hereinkam? Es gab keinen Riegel an der Tür, kein Schloss. Miriamel wehrte sich. Aspitis deutete ihre Furcht falsch und flüsterte beruhigende Worte über ihre Schönheit.
Jede Locke seines Haares war kunstvoll, charakteristisch und einzigartig wie ein Baum. Sein Kopf schien ein Wald, seine dunkle Gestalt ragte über ihr auf wie ein ferner Berg. Sie schrie leise auf. Es gab keinen Widerstand gegen solche Unerbittlichkeit.
In den Schatten verrann die Zeit, und wieder ließ Miriamel sich treiben. Aspitis sprach.
Er liebe sie, ihre Güte, ihren Verstand, ihre Holdseligkeit.
Seine Worte waren wie Liebkosungen, blind, aber feurig. Sie kümmerte sich nicht um Schmeichelreden, aber sie fühlte, wie ihre Abwehr vor seiner Stärke und Sicherheit dahinschmolz. Er mochte sie, zumindest ein wenig. Er konnte sie in der Dunkelheit verstecken, sie damit umhüllen wie mit einem Mantel. Sie würde in den Tiefen eines schützenden Waldes verschwinden, bis die Welt wieder war, wie sie sein sollte.
Sanft schaukelte das Schiff in der Wiege des Wassers.
Er würde sie vor allen schützen, die ihr schaden wollten, versprach er. Er würde sie nie verlassen.
Schließlich gab sie sich ihm hin. Da war Schmerz, aber auch ein Versprechen. Miriamel hatte nicht mehr erhofft. Das Leben hatte sie längst gelehrt, dass mehr kaum zu erwarten war.
Erfüllt von ungewohnten, neuen Gefühlen und noch nicht recht im Einklang mit sich selbst, saß Miriamel Aspitis stumm am Esstisch gegenüber und schob die Speisen von einer Seite des Tellers auf die andere. Sie verstand nicht, weshalb der Graf sie gezwungen hatte, sich hier im hellen Kerzenlicht des Raumes zu ihm zu setzen. Sie verstand nicht, warum sie nicht wenigstens ein kleines bisschen verliebt war.
Ein Soldat klopfte an der Tür und trat ein.
»Wir haben ihn, Herr«, meldete er. Die Befriedigung darüber, einen Fehler wiedergutgemacht zu haben, klang deutlich aus seiner Stimme. Miriamel erstarrte.
Der Soldat trat zur Seite. Zwei seiner Kameraden führten Cadrach herein, der schlaff zwischen ihnen hing. Der Mönch schien den Kopf nicht heben zu können. Hatte man ihn geschlagen? Miriamel empfand eine unwillkommene Anwandlung von Mitleid. Sie hatte halb gehofft, Cadrach werde sich einfach in Luft auflösen, damit sie ihn nie wiederzusehen brauchte. Es war leichter, ihn zu verabscheuen, wenn er nicht da war.
»Er ist betrunken, Graf Aspitis«, erklärte der Wachsoldat. »Völligdahin. Wir fanden ihn im Gefiederten Aal , unten am Ostdock. Er hatte schon die Überfahrt auf einem perdruinesischen Kauffahrer bezahlt, aber der Dummkopf ließ sich volllaufen und verlor sie beim Würfeln.«
Cadrach blickte aus trüben Augen auf, das Gesicht schlaff vor Verzweiflung. Selbst von der anderen Seite des Tisches konnte Miriamel den Weingestank riechen. »W-wollt’s grade w-wiedergew-winnen. Hätt’s auch.« Er schüttelte den Kopf. »V-vleich’ nicht. K-kein Glück mehr. W-wasser steigt …«
Aspitis stand auf und ging um den Tisch herum. Er nahm das Kinn des Mönches in die Hand und presste es mit festem Griff zusammen, dass das Fleisch hervorquoll. Er zwang Cadrachs rosiges Gesicht nach oben, bis ihre Blicke sich begegneten.
»Hat er das früher schon versucht, Herrin Marya?«, fragte der Graf.
Miriamel nickte hilflos. Sie wünschte sich, weit weg zu sein. »Mehr oder weniger.«
Aspitis wandte sich erneut dem Mönch zu. »Was für ein merkwürdiger Mensch. Warum quittiert er nicht einfach den Dienst bei Eurem Vaters, anstatt sich davonzuschleichen wie ein Dieb?« Er sah auf seinen Knappen. »Bist du sicher, dass nichts fehlt?«
Der Knappe nickte. »Ganz sicher, Herr.«
Cadrach versuchte, sich aus Aspitis’ Griff zu lösen. »Hab selber G-gold gehabt. Nichts g-gestohlen. Muss weg von hier …« Sein verschwommener Blick fiel auf Miriamel, und seine Stimme wurde noch verzweifelter. »Gefährlich … Sturm holt uns ein. Gefahr!«
Der Graf von Eadne ließ das Kinn des Mönches los und wischte sich die Finger am Tischtuch ab. »Fürchtet er sich vor einem Sturm? Ich wusste, dass er kein guter Seemann ist, aber trotzdem … höchst eigenartig. Wäre er mein Lehnsmann, würde ich ihm für diesen Streich den
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