Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
Pferden dichtauf. Hufe trommelten über den aufgeweichten Grund.
Getrieben von der mühsam unterdrückten Furcht, dauerte es eine Weile, bis sie merkten, dass der Boden, wenn auch immer noch von dichtem Buschwerk bedeckt, auffallend eben geworden war. Sie ritten an Flussbetten vorüber, die lange ausgetrocknet gewesen sein mussten, jetzt aber wieder mit rauschendem, schäumendem Regenwasser gefüllt waren. Hier und da ragten an den Ufern verwitterte Steinreste auf, überwuchert von Ranken und jahrhundertealtem Moos.
»Sieht aus wie Brücken oder Ruinen zerfallener Gebäude«, rief Sludig im Reiten.
»Das ist es auch«, erwiderte Binabik. »Es bedeutet, dass wir uns unserem Ziel nähern, hoffentlich. Hier ist ein Ort, an dem die Sithi einmal eine große Stadt hatten.« Er bückte sich und legte Qantaqa die Arme um den Hals, als sie über einen umgestürzten Baumstamm sprang.
»Glaubst du, dass die Riesen sich davon abschrecken lassen?«, fragte Sludig. »Du hast gesagt, die Gräber liebten die Orte nicht, an denen Sithi lebten.«
»Sie lieben den Wald nicht, und der Wald liebt sie nicht«, sagte der Troll und brachte Qantaqa sanft zum Stehen. »Diese Hunen -Riesen scheinen damit keine Schwierigkeiten zu haben. Vielleicht sind sie weniger klug oder nicht so ängstlich. Oder es liegt daran, dass sie nicht graben. Ich weiß es nicht.« Er hielt den Kopf schräg und lauschte. Es war schwer, etwas durch das unablässige Zischen des Regens zu hören, aber für den Augenblick schienen sie sicher zu sein. »Wir wollen dem fließenden Wasser folgen.« Er deutete auf den neuentstandenen Fluss, der an ihnen vorüberschoss, beladen mit Ästen und Zweigen, die der Sturm von den Bäumen gerissen hatte. »Sesuad’ra, der Stein des Abschieds, liegt in einem Tal hinter dem Ende des Waldes, ganz in der Nähe der Stadt Enki-e-Shao’saye, an deren Rand wir uns jetzt befinden.« Er machte eine Gebärde mit der kleinen, im Fausthandschuh steckenden Hand. »Der Fluss muss ins Tal hinunterfließen, darum ist es vernünftig, wenn wir uns ihm anschließen.«
»Dann wollen wir weniger reden und uns mehr dem Anschließen widmen«, bemerkte Sludig.
»Früher«, erklärte Binabik steif, »habe ich zu aufmerksameren Ohren gesprochen.« Achselzuckend trieb er Qantaqa an.
Sie ritten an unzähligen Überresten der riesigen, längst ausgestorbenen Stadt vorbei. Bruchstücke alter Mauern schimmerten im Unterholz, Massen von hellem, bröckelndem Backstein, verloren wie verirrte Schafe. An anderen Stellen lagen die Grundmauern eingestürzter Türme frei, krumm und leer wie uralte Kieferknochen, von schmarotzendem Moos erstickt. Anders als in Da’ai Chikiza hatte sich hier der Wald nicht damit begnügt, in die Stadt hineinzuwachsen; von Enki-e-Shao’saye hatte er nur ein paar schwache Spuren übriggelassen.Der Wald, so schien es, war stets ein Teil der Stadt gewesen, aber im Lauf der Jahrtausende war er zu ihrem Zerstörer geworden. Er hatte das kunstvolle Steinwerk unter einem Dickicht verschlungenen Laubwerks begraben und es mit Wurzeln und Ästen überwuchert, die mit großer Geduld die unvergleichliche Arbeit der Sithibaumeister vernichteten und alles in Lehm und feuchten Sand verwandelten.
Es lag wenig Ermutigendes in den bröckelnden Ruinen von Enki-e-Shao’saye. Sie schienen nur zu zeigen, dass auch die Sithi dem Lauf der Zeiten unterworfen waren und dass alles von Händen Geschaffene, und sei es noch so erhaben, irgendwann einmal doch an ein unrühmliches Ende kommen musste.
Binabik und Sludig fanden einen breiteren Weg am Fluss und kamen nun besser vorwärts. Der Weg schlängelte sich durch den regennassen Wald, in dem sie nichts als die Geräusche ihrer Pferde hörten. Sie waren erleichtert. Wie der Troll vorausgesagt hatte, begann das Land jetzt steiler nach Südwesten abzufallen. Auch der Fluss hielt sich trotz seiner vielen Windungen in diese Richtung. Das Wasser strömte immer schneller, fast als freue es sich darüber, zu Tal zu kommen. Es war, als werfe es sich gegen die Ufer, als wolle es überall zugleich sein, als spritze es, wenn es auf Hindernisse im Flussbett traf, höher als gewöhnlich. Es schien, als wolle dieser Fluss, dem nur ein kurzes Leben geschenkt war, einer strengen Flussgottheit beweisen, dass er eine dauerhaftere Existenz verdiene.
»Wir haben den Wald fast hinter uns«, keuchte Binabik von Qantaqas hüpfendem Rücken. »Siehst du, dass die Bäume dünner stehen? Man kann schon fast
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