Der Adler ist entkommen
Kleiner, ich würde Ihnen empfehlen, sich eine andere Arbeit zu suchen. Das gilt auch für Ihren Begleiter.« Er drehte sich um und ging hinaus.
Als Schellenberg den kleinen Sanitätsraum betrat, saß Eggar am Schreibtisch, während der Botschaftsarzt seine rechte Hand verband.
»Wie geht es ihm?« erkundigte sich Schellenberg.
»Er bleibt am Leben.« Der Arzt beendete sein Werk und schnitt säuberlich einen Streifen Heftpflaster ab. »Die Hand wird in Zukunft etwas steif sein. Die Fingerknöchel haben etwas abbekommen.«
»Kann ich mal kurz mit ihm sprechen?« Der Arzt nickte und ging hinaus. Schellenberg zündete sich eine Zigarette an und ließ sich auf der Schreibtischkante nieder. »Ich nehme an, Sie haben Devlin gefunden?«
»Wurde das dem Herrn General noch nicht mitgeteilt?« fragte Eggar.
»Ich habe Berger noch nicht gesprochen. Ich habe nur gehört, daß ihr ziemlich lädiert mit dem Taxi zurückgekommen seid. Und jetzt schildern Sie mal genau, was passiert ist.«
Was Eggar bereitwillig tat, denn so wie seine Schmerzen schlimmer wurden, steigerte sich auch sein Zorn. »Er wollte nicht auf mich hören, Herr General. Er mußte unbedingt seinen Kopf durchsetzen.«
Schellenberg legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Es ist nicht Ihre Schuld, Eggar. Ich fürchte, Major Berger meint, er sei über gewisse Vorschriften erhaben. Es wird Zeit, daß er eine Lektion erhält.«
»Oh, dafür hat Devlin schon gesorgt«, meinte Eggar. »Als ich mich von ihm verabschiedete, sah das Gesicht unseres Majors gar nicht schön aus.«
»Tatsächlich?« Schellenberg grinste. »Ich hätte nicht gedacht, daß es noch häßlicher werden könnte.«
Berger stand mit nacktem Oberkörper vor dem Waschbecken in dem kleinen Zimmer, das man ihm zugewiesen hatte, und untersuchte sein Gesicht im Spiegel. Ein Bluterguß hatte sich bereits um sein linkes Auge gebildet, und seine Nase war angeschwollen. Schellenberg kam herein, schloß die Tür und lehnte sich dagegen.
»Soso, Sie haben also meine Befehle mißachtet.«
»Ich habe versucht, das Beste aus der Situation zu machen«, entgegnete Berger. »Ich wollte nicht, daß er untertaucht.«
»Und er war besser als Sie. Ich habe Sie gewarnt.«
Wut flackerte in Bergers Gesicht auf, während er sich im Spiegel betrachtete und seine Wange betastete. »Diese miese irische Sau. Das nächste Mal mache ich ihn fertig.«
»Das werden Sie lassen, denn von jetzt an nehme ich die Sache selbst in die Hand«, sagte Schellenberg. »Es sei denn, Ihnen ist es lieber, ich berichte dem Reichsführer, daß wir den Mann aufgrund Ihrer Dummheit verloren haben.«
Berger wirbelte herum. »General Schellenberg, ich protestiere.«
»Füße zusammen, und nehmen Sie Haltung an, wenn Sie mit mir reden, Sturmbannführer«, bellte Schellenberg. Berger gehorchte, und die eiserne Disziplin der SS machte sich bemerkbar. »Sie haben beim Eintritt in die SS einen Eid abgelegt. Sie haben Ihrem Führer und denen, die Ihnen Befehle erteilen, bedingungslosen Gehorsam geschworen. Ist es nicht so?«
»Jawohl, Brigadeführer.«
»Hervorragend«, lobte ihn Schellenberg. »Sie erinnern sich. Vergessen Sie das nie wieder. Die Folgen könnten sonst furchtbar sein.« Er ging zur Tür, öffnete sie und blieb kopfschüttelnd stehen. »Sie sehen schlimm aus, Major. Versuchen Sie, Ihr Gesicht ein wenig auf Vordermann zu bringen, ehe Sie zum Essen runterkommen.«
Er ging hinaus, und Berger schaute wieder in den Spiegel. »Schweinehund!« zischte er leise.
Liam Devlin saß im Estrela de Lisboa am Klavier, eine Zigarette im Mundwinkel, ein Glas Wein neben den Tasten. Es war zehn Uhr, noch zwei Stunden bis Weihnachten. Im Cafe herrschte Hochbetrieb und Festtagsstimmung. Er spielte eine Nummer mit dem Titel »Moonlight on the Highway«, ein Lieblingslied der Gäste, sehr langsam und gefühlvoll. Schellenberg bemerkte er im gleichen Moment, als dieser eintrat, nicht weil er ihn erkannt hätte, sondern weil er sofort wußte, wo er einzuordnen war. Er sah ihn zur Bar gehen und ein Glas Wein bestellen und wandte dann den Blick ab, als Schellenberg zum Klavier herüberkam.
»›Moonlight on the Highway‹«, sagte Schellenberg. »Das gefällt mir. Einer der besten Titel von Al Bowlly«, fügte er hinzu und nannte damit den Namen des Mannes, der bis zu seinem Tod der beliebteste Schnulzensänger Englands gewesen war.
»Wußten Sie, daß er
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