Der Adler ist gelandet
Plötzlich sah er verfallen und alt aus. »Mein Gott«, flüsterte er. »Wie lange noch?«
Als er sich wieder setzte, um seinen Kaffee zu trinken, zitterten seine Hände so sehr, daß die Tasse auf der Untertasse klirrte.
Als Radl sein Büro betrat, ordnete Hofer die Papiere auf dem Schreibtisch. Er drehte sich erwartungsvoll um, dann sah er Radls Gesichtsausdruck. »War es dem Herrn Admiral nicht recht, Herr Oberst?« »Er nannte es einen Wahnsinn mit Methode. Er schien es sogar lustig zu finden.«
»Wie geht's jetzt weiter, Herr Oberst?«
»Gar nicht, Hofer«, erwiderte Radl müde und setzte sich an seinen Schreibtisch. »Die Durchführbarkeits-Analyse, die wir erstellen sollten und die vielleicht kein Mensch je wieder sehen will, ist zu Papier gebracht, mehr wurde nicht von uns verlangt. Wir machen an etwas anderem weiter.«
»Kann ich Ihnen irgend etwas holen, Herr Oberst?« fragte Hofer mit vorsichtigem Mitgefühl.
»Nein danke. Gehen Sie jetzt heim. Wir sehen uns morgen früh wieder.« »Herr Oberst.« Hofer schlug die Hacken zusammen, dann zögerte er. Radl sagte: »Los, gehn Sie schon. Sie haben's gut gemacht, vielen Dank.«
Hofer ging, und Radl fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Die leere Augenhöhle brannte, der Armstumpf schmerzte. Manchmal hatte er das Gefühl, daß sie ihn bei der Reparatur falsch zusammengesetzt hatten. Seltsam, wie enttäuscht er war. Als hätte er einen persönlichen Verlust erlitten.
»Vielleicht ist es besser so«, sagte er leise. »Ich hab' den ganzen verdammten Quatsch wirklich schon zu ernst genommen.« Er setzte sich, schlug Joanna Greys Akte auf und begann zu lesen. Nach einer Weile zog er die Generalstabskarte heran und faltete sie auseinander. Plötzlich hielt er inne. Für heute hatte er genug von seinem winzigen Büro, genug von der Abwehr. Er zog die Mappe unter dem Schreibtisch hervor, steckte die Akten und die Karte hinein und nahm seinen Ledermantel vom Haken hinter der Tür. Es war noch zu früh für einen Angriff der Royal Air Force, und die Stadt
wirkte unnatürlich still, als er durch den Hauptausgang ins Freie trat. Er beschloß, die Ruhe zu einem Spaziergang bis zu seiner Wohnung zu nutzen, anstatt den Dienstwagen kommen zu lassen. Sein Kopf schmerzte ohnehin zum Bersten, und der leichte Nieselregen würde ihm guttun. Er ging die Treppe hinunter, erwiderte den Gruß der Wache und trat in den schwachen Lichtkreis der abgeblendeten Straßenlampe. Ein Stück weiter unten am Tirpitz-Ufer tauchte ein Wagen auf und hielt dann neben ihm am Gehsteigrand.
Es war eine schwarze Mercedes-Limousine, schwarz wie die Uniformen der beiden Gestapo-Männer, die aus dem Wagen stiegen und wartend stehenblieben. Als Radl den Ärmelstreifen des Nächststehenden sah, wollte ihm das Herz stillstehen. RFSS, Reichsführer SS. Der Ärmelstreifen von Himmlers persönlichem Stab.
Der junge Mann, der jetzt aus dem Fond stieg, trug einen weichen Hut und einen schwarzen Ledermantel. Sein Lächeln hatte den Charme eines von Grund auf unehrlichen Menschen. »Oberst Radl?« sagte er. »Gut, daß wir Sie noch vor Ihrem Weggang erwischen. Der Reichsführer läßt Ihnen Grüße bestellen. Er würde sich freuen, wenn Sie einen Augenblick für ihn erübrigen könnten.« Er nahm Radl kurzerhand die Mappe ab. »Erlauben Sie, daß ich sie Ihnen trage.«
Radl feuchtete die trockenen Lippen an und rang sich ein Lächeln ab. »Aber selbstverständlich«, sagte er und stieg in den Fond des Mercedes. Der junge Mann setzte sich neben ihn, die beiden anderen stiegen vorn ein und sie fuhren ab. Er holte tief Atem, um die aufsteigende Furcht zu meistern.
»Zigarette, Herr Oberst?« »Danke«, sagte Radl.
Drei
Als Radl in das Büro im ersten Stock der Prinz-AlbrechtStraße geführt wurde, sah er Himmler an einem mit Aktenstapeln beladenen riesigen Schreibtisch sitzen. Der Reichsführer blickte auf, seine Augen hinter dem Kneifer waren kalt und unpersönlich wie immer.
Der junge Mann im schwarzen Ledermantel, der Radl begleitet hatte, salutierte mit dem deutschen Gruß und stellte die Mappe auf den Tisch. »Befehl ausgeführt, Reichsführer.«
»Danke, Rossmann«, erwiderte Himmler. »Warten Sie draußen. Ich brauche Sie vielleicht später noch.«
Rossmann ging hinaus, und Radl wartete, während Himmler die Akten sehr exakt auf eine Seite des Schreibtisches schob. Er zog die Mappe heran und blickte sie nachdenklich an. Seltsamerweise hatte Radl wieder einigen Mut und einen gewissen Galgenhumor
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