Der Adler ist gelandet
Männermantel mit einem Stück Schnur um sich gewickelt, kauerte unter dem Waggon. Vermutlich war sie aus der Gruppe dort drüben entwischt und wollte nun versuchen, in das Fahrgestell zu kriechen, um mit dem ausfahrenden Lazarettzug die Freiheit zu gewinnen.
Im gleichen Augenblick sah sie auch der Feldjäger an der Bahnsteigkante, gab Alarm, sprang dann hinunter auf die Gleise und griff nach dem Mädchen.
Kreischend riß sie sich los, erklomm den Bahnsteig und rannte auf den Ausgang zu, geradewegs in die Arme von Major Frank, der gerade wieder aus seinem Büro trat.
Er packte sie bei den Haaren und schüttelte sie wie eine Ratte. »Du dreckiges Judengör, ich will dich Mores lehren.«
Steiner lief los. »Nein, Herr Oberstleutnant!« rief Neumann, aber es war schon zu spät.
Steiner packte Frank am Kragen und riß ihn fast von den Füßen, faßte das Mädchen bei der Hand und zog sie hinter sich. Major Frank rappelte sich wieder auf, sein Gesicht war wutverzerrt. Die Hand fuhr nach der Walther-Pistole, die er am Gürtel trug, aber Steiner hatte bereits eine Luger aus der Tasche seiner Lederjacke gezogen und die Mündung auf Franks Kopf gerichtet. »Nur zu«, sagte er, »dann schieß ich Ihnen die Rübe weg. Wäre ohnehin ein Segen für die Menschheit.« Mindestens ein Dutzend Feldjäger stürmten herbei, einige trugen MPs, andere Gewehre, und bildeten im Abstand von ein paar Metern einen Halbkreis. Ein großer Feldwebel legte sein Gewehr an, und Steiner griff Franks Waffenrock und hielt den Major dicht vor sich. Die Luger preßte er ihm noch fester an den Kopf. »Das würde ich Ihnen nicht raten.«
Eine Lokomotive mit einer Reihe offener Kohlenwaggons im Schlepp rollte mit einer Geschwindigkeit von höchstens zehn Stundenkilometern durch den Bahnhof. Steiner fragte die Kleine: »Wie heißt du?« »Brana«, erwiderte sie. »Brana Lezenikof.«
»Also, Brana«, sagte er, »wenn du nur halb soviel Schneid hast, wie ich glaube, dann hängst du dich an einen von den Kohlenwaggons und bleibst dran, bis du von hier weg bist. Mehr kann ich nicht für dich tun.« Sie war wie der Blitz davon, und er sagte laut: »Wer auf sie schießt, der verschafft auch dem Major eine Kugel.«
Das Mädchen sprang nach einem der Waggons, fand Halt und zog sich hoch. Der Zug rollte aus dem Bahnhof. Totenstille. Dann sagte Frank: »Bei der nächsten Station holen sie sie runter, dafür werde ich persönlich sorgen.«
Steiner versetzte ihm einen Stoß und steckte die Luger ein. Sofort wollten die Feldjäger den Kreis schließen, aber Leutnant Neumann schrie: »Heute nicht, meine Herren.«
Steiner drehte sich um und sah, daß der Leutnant eine MP im Anschlag hielt. Hinter ihm standen vollzählig seine übrigen Leute, alle bis an die Zähne bewaffnet.
In diesem Moment hätte alles mögliche passieren können, wenn nicht ein Trupp SS-Männer mit schußbereiten Gewehren durch den Haupteingang hereingestürmt wäre. Sie nahmen Aufstellung, und gleich darauf erschien SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Jürgen Stroop, flankiert von einigen SS-Offizieren verschiedenen Dienstranges, alle mit gezogenem Revolver. Stroop trug Feldmütze und Kampfanzug und sah überraschend unbedeutend aus. »Was geht hier vor, Frank?«
»Fragen Sie ihn, Brigadeführer«, erwiderte Frank mit wutverzerrten Zügen. »Dieser Mann, Offizier der deutschen Wehrmacht, hat soeben einer jüdischen Partisanin die Flucht ermöglicht.«
Stroop musterte Steiner, sah die Rangabzeichen und das Ritterkreuz mit Eichenlaub. »Wer sind Sie?« fragte er.
»Oberstleutnant Steiner, Fallschirmjäger-Regiment«, erwiderte Steiner. »Und wer sind Sie?«
Jürgen Stroop hatte noch nie die Beherrschung verloren. Er sagte ruhig: »So können Sie mit mir nicht sprechen, Herr Oberstleutnant. Ich bin Generalmajor, wie Sie sehr wohl wissen.«
»Das ist mein Vater auch«, erwiderte Steiner, »es beeindruckt mich also nicht übermäßig. Aber, da wir schon mal dabei sind: Sind Sie der Brigadeführer Stroop, der für das Massaker da draußen verantwortlich ist?«
»Ich habe hier den Oberbefehl, ja.«
Steiner rümpfte angewidert die Nase. »Hab' ich mir fast gedacht.« Brigadeführer Stroop streckte, nach wie vor eiskalt, die Hand aus. Steiner seufzte, zog die Luger aus der Tasche und übergab sie ihm. Er blickte über die Schulter auf seine Leute. »Schluß der Vorstellung, Jungens, Feierabend.« Er wandte sich wieder an Stroop. »Aus irgendeinem Grund glauben sie, sie müssen durch
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