Der Adler ist gelandet
uns aus irgendeinem Grund unter Verschluß halten, Herr Oberstleutnant«, sagte Neumann.
Der Kiefer des Feldjägers klappte herunter und er nahm Haltung an. »Ich bitte den Herrn Oberstleutnant um Verzeihung. Ich habe nicht gewußt...«
Hinter ihnen näherten sich eilige Schritte und eine Stimme bellte: »Schultz, was geht hier vor?«
Steiner und Neumann kümmerten sich nicht darum und traten ins Freie. Schwarzer Rauch hing über der Stadt, in der Ferne hörte man Geschützdonner und das Knattern von Handfeuerwaffen. Eine Hand griff nach Steiners Schulter und riß ihn herum. Er sah sich einem Major in tadelloser Uniform gegenüber. Um den Hals hing an einer Kette der glänzende Schild der Feldjäger. Steiner seufzte und lockerte den weißen Schal, so daß nicht nur seine Kragenspiegel sichtbar wurden, sondern auch das Ritterkreuz mit Eichenlaub.
»Steiner«, sagte er. »Fallschirmjäger-Regiment.«
Der Major salutierte höflich, aber nur, weil ihm nichts anderes übrigblieb. »Tut mir leid, Herr Oberstleutnant, Befehl ist Befehl.« »Ihr Name?« fragte Steiner.
Trotz des lässigen Lächelns lag in der Stimme des Oberstleutnants eine gewisse Schärfe, die auf mögliche Unannehmlichkeiten hinwies. »Major Frank, Herr Oberstleutnant.«
»Schön, das wäre also das. Und jetzt hätten Sie vielleicht die Güte, uns zu erklären, was hier vorgeht. Soviel ich weiß, kapitulierte die polnische Armee im Jahre 1939.« »Das Warschauer Ghetto wird ausradiert.« »Von wem?«
»Einer Sondereinheit. SS und verschiedene andere Gruppen unter dem Befehl von Brigadeführer Stroop. Jüdische Banditen, Herr Oberstleutnant. Sie kämpfen um jedes Haus, in den Kellern, in der Kanalisation, seit dreizehn Tagen schon. Also räuchern wir sie jetzt aus. Das beste Mittel gegen Läuse.«
Während des Genesungsurlaubs nach seiner Verwundung vor Leningrad hatte Steiner seinen Vater in Frankreich besucht und ihn sehr verändert gefunden. Dem General waren schon vor geraumer Zeit Zweifel an der neuen Ordnung gekommen. Vor sechs Monaten hatte er ohne dienstliche Erlaubnis und unter einem Vorwand das Konzentrationslager in Auschwitz in Polen besichtigt.
»Der Lagerkommandant war ein Schwein namens Rudolf Hoess, Kurt. Ob du's glaubst oder nicht, ein zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurteilter Mörder, der durch die Amnestie von 1928 freikam. Jetzt ermordet er Juden zu Tausenden in eigens dafür konstruierten Gaskammern, die Leichen werden in riesigen Öfen verbrannt, nachdem man ihnen die Goldzähne herausgebrochen hat.«
Während ihres Gesprächs hatte der alte General viel getrunken und war doch nicht betrunken. »Halten wir dafür unsere Köpfe hin, Kurt? Für Schweine wie Hoess? Und was wird die übrige Welt sagen, wenn es einmal soweit ist? Wird sie uns alle schuldig sprechen? Wird sie sagen, Deutschland sei schuldig, weil wir alle tatenlos zusahen? Anständige und ehrenhafte Männer sahen zu und taten nichts. Ich möchte nicht zu ihnen gehören, bei Gott. Ich könnte es nicht ertragen.« Hier in der Halle des Warschauer Bahnhofs kam Kurt Steiner plötzlich dieses Gespräch wieder in den Sinn, und sein Gesichtsausdruck veränderte sich in einer Weise, daß der Major ein paar Schritte zurückwich. »Schon besser«, sagte Steiner. »Und jetzt verdünnisieren Sie sich gefälligst...«
Major Franks Staunen wandelte sich rasch in Wut, als Steiner, flankiert von Neumann, an ihm vorbeischritt. »Moment mal, Herr Oberstleutnant, Moment mal«, sagte Neumann.
Auf dem benachbarten Bahnsteig trieb eine Gruppe SSMänner eine lange Reihe zerlumpter, schmutziger Gestalten vor sich her zu einer Mauer. Unmöglich zu sagen, ob es Männer oder Frauen waren. Während Steiner hinüberstarrte, fingen sie an, ihre Kleider abzulegen. Ein Feldjäger schaute vom Rand des Bahnsteigs aus zu, und Steiner fragte ihn: »Was ist denn dort drüben?«
»Juden, Herr Oberstleutnant«, antwortete der Mann. »Die heutige Morgenausbeute aus dem Ghetto. Sie werden nach Treblinka verfrachtet und sonderbehandelt. Das Ausziehen vor der Durchsuchung ist besonders wegen der Weiber notwendig. Manche haben schon geladene Pistolen in den Hosen gehabt.«
Vom anderen Bahnsteig hörte man brutales Lachen und einen Schmerzensschrei. Steiner wandte sich angewidert Neumann zu und sah, daß der Leutnant zum rückwärtigen Teil des Transportzuges starrte. Ein Mädchen von etwa vierzehn, fünfzehn Jahren mit verfilztem Haar und rauchgeschwärztem Gesicht, einen abgeschnittenen
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