Der Adler ist gelandet
zurückgewonnen, der ihm schon in so mancher Lebenslage sehr zustatten gekommen war. Himmler sah ihn an. »Wie ich höre, waren Sie ein tapferer Mann, Herr Oberst. Sie haben sich Ihr Ritterkreuz im Winterkrieg verdient?« »Jawohl, Reichsführer.«
»Und seitdem arbeiten Sie also für Admiral Canaris.« wartete, während Himmler wieder auf die Mappe starrte. Der Raum war recht gemütlich im abgeblendeten Licht. Ein Feuer brannte im offenen Kamin, und darauf stand ein Bild des Führers mit Unterschrift in einem Silberrahmen.
Himmler fuhr fort: »Am Tirpitz-Ufer passiert in letzter Zeit nicht viel, wovon ich nicht erfahren würde. Überrascht Sie das? Zum Beispiel weiß ich, daß Ihnen am zweiundzwanzigsten dieses Monats ein Routinebericht einer Abwehragentin in England, Mrs. Joanna Grey, vorgelegt wurde, worin der Zaubername Winston Churchill vorkommt.« »Reichsführer, ich weiß nicht, was ich sagen soll«, erwiderte. »Und was noch interessanter ist: Sie ließen sich alle Unterlagen über Mrs. Grey von Abwehr Eins aushändigen und entbanden Hauptmann Meyer, der die Dame seit Jahren führt, von seiner Aufgabe. Er scheint sich sehr darüber aufzuregen.« Himmler legte eine Hand auf die Mappe. »Herr Oberst, wir sind doch beide zu alt für Kindereien. Sie wissen, wovon ich spreche. Also, was haben Sie mir zu sagen?«
Max war Realist. Er wußte, daß er keine Wahl hatte. Er sagte: »In der Mappe werden Sie alles Einschlägige finden, mit einer einzigen Ausnahme, Reichsführer.«
»Die Kriegsgerichts-Protokolle von Oberstleutnant Kurt Steiner?« Himmler nahm die oberste Akte von dem Stapel auf der einen Seite seines Schreibtisches und reichte sie. »Ein redlicher Tausch. Ich schlage vor, Sie lesen sie draußen.« Er öffnete die Mappe und nahm den Inhalt heraus. »Ich schicke nach Ihnen, wenn ich Sie brauche.«
Radl hätte beinah den Arm gehoben, aber ein letzter Rest von Selbstachtung verwandelte die Bewegung in den traditionellen militärischen Gruß. Er machte auf dem Absatz kehrt, öffnete die Tür und trat hinaus ins Vorzimmer.
Rossmann lungerte in einem Sessel herum und las Signal, die Wehrmachtszeitschrift. Er blickte überrascht auf. »Sie wollen uns schon verlassen?«
»Schön wär's«, erwiderte und ließ die Akte auf ein niedriges Tischchen fallen. »Anscheinend soll ich das zuerst lesen.« Rossmann lächelte freundlich. »Will mal sehen, ob ich Kaffee auftreiben kann. Sieht so aus, als würden Sie noch eine ganze Weile hierbleiben.« Er ging hinaus. zündete sich eine Zigarette an, setzte sich und schlug die Akte auf.
Der Tag, an dem das Warschauer Ghetto dem Erdboden gleichgemacht werden sollte, war der 19. April 1943. Am 20. April war Hitlers Geburtstag, und Himmler hoffte, ihm mit der Vollzugsmeldung ein passendes Geschenk zu machen. Doch peinlicherweise wurden der Kommandant des Unternehmens, SS-Oberführer von Sammern-Frankenegg, und seine Leute, als sie in das Ghetto einmarschierten, von der Jüdischen Kampfgruppe wieder hinausgejagt.
Himmler ersetzte ihn sofort durch SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Jürgen Stroop, der nun mit Hilfe einer aus SS-Leuten, polnischen und ukrainischen Überläufern gemischten Truppe die Sache rücksichtslos in die Hand nahm: Nicht ein Stein sollte auf dem anderen, nicht ein Jude am Leben bleiben. Er wollte Himmler persönlich melden können: Das Warschauer Ghetto existiert nicht mehr. Doch auch er brauchte achtundzwanzig Tage, bis es soweit war.
Steiner und seine Leute kamen am Morgen des dreizehnten Tages mit einem nach Berlin fahrenden Lazarettzug von der Ostfront in Warschau an. Dort mußte ein Zwischenhalt von voraussichtlich einer bis zwei Stunden eingelegt werden, je nachdem, wie lange die Reparatur eines Lokschadens dauern würde, und über den Lautsprecher wurde Befehl gegeben, daß niemand den Bahnhof verlassen dürfe. An allen Ausgängen standen Feldjäger, um jede Übertretung des Befehls zu verhindern. Die meisten seiner Männer blieben in den Waggons, aber Steiner stieg aus, um sich die Beine zu vertreten, und Leutnant Neumann folgte ihm. Steiners Sprungstiefel waren durchgescheuert, die Lederjacke hatte auch schon bessere Tage gesehen, und er trug einen schmutzigen weißen Schal, der Ritterkreuz und Spiegel verdeckte.
Der Feldjäger vor dem Hauptausgang hielt das Gewehr mit beiden Händen waagrecht vor die Brust und sagte barsch: »Ihr habt doch den Befehl gehört, oder? Marsch, zurück in die Waggons!«
»Sieht aus, als wollen die
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