Der Adler ist gelandet
vertrauen Sie mir?« Hofer stand stramm. »Ich habe nie an Ihnen gezweifelt, Herr Oberst,
nie.«
Radl war gerührt. »Gut, dann machen wir weiter wie bereits
besprochen, unter Beachtung der strengsten Sicherheitsvorschriften.«
»Zu Befehl, Herr Oberst.«
»Also, Hofer, dann bringen Sie mir alles her. Alles, was wir haben. Wir wollen das Ganze nochmals durchgehen.«
Er ging wieder hinüber zum Fenster, öffnete es und schöpfte tief Atem.
Von den Bränden der vergangenen Nacht lag noch Rauchgeruch in der Luft. Seltsam, wie tatkräftig er sich fühlte.
»Sie braucht einen Mann, Hofer.« »Herr Oberst?« fragte Hofer.
Beide standen über den Schreibtisch gebeugt, auf dem Berichte und Karten ausgebreitet waren. »Mrs. Grey«, erklärte Radl, »sie braucht einen Mann.«
»Ach so, jetzt versteh' ich, Herr Oberst«, sagte Hof er. »Jemand mit einem breiten Buckel. Einen Handlanger.«
»Nein.« Radl runzelte die Stirn und nahm sich eine seiner russischen Zigaretten. »Auch einen hellen Kopf. Das ist sogar das Wichtigste.« Hofer gab ihm Feuer. »Eine seltene Mischung.«
»Kann man sagen. Wer arbeitet zur Zeit drüben in England für Abteilung Eins, der uns helfen könnte? Ein hundertprozentig zuverlässiger Mann?«
»Wir haben vielleicht sieben, acht Agenten, die in Frage kommen könnten. Leute wie Schneewittchen zum Beispiel. Arbeitet seit zwei Jahren beim Marinekommando in Portsmouth. Liefert uns regelmäßige und brauchbare Informationen über Nordatlantikkonvois.« Radl schüttelte ungeduldig den Kopf. »Nein, niemand von dieser Sorte. Dieser Sektor ist zu wichtig. Hier dürfen wir nichts riskieren. Es muß doch weiß Gott noch andere geben?« » Mindestens fünfzig.« Hofer zuckte die Achseln. » Leider hat die britische Spionageabwehr in den letzten eineinhalb Jahren recht erfolgreich gearbeitet.«
Mit Spionen wird in Kriegszeiten im allgemeinen kurzer
Prozeß gemacht. Eine Ziegelmauer und ein Erschießungskommando. Aber der britische Intelligence Service war bereits zu Kriegsbeginn auf die interessante und verheerend einfache Idee gekommen, daß es weit vernünftiger sei, solche Personen »umzudrehen« und wieder in Umlauf zu bringen. Wenig deutsche Spione wiesen diese praktisch einzige Überlebenschance zurück. Obwohl die Abwehr bald erkannte, was gespielt wurde, hatte sich die Zusammenarbeit mit den englischen Kontakten erheblich erschwert, denn zunächst mußte jeder Agent als potentiell unzuverlässig betrachtet werden.
Radl stand auf und ging ans Fenster. Ungeduldig trat er von
einem Fuß auf den anderen. Er war nicht ärgerlich, er war besorgt. Joanna Grey war achtundsechzig, und, ganz gleich, wie begabt und zuverlässig sie war, sie brauchte einen Mann, einen Handlanger, wie Hofer es ausgedrückt hatte. Ohne ihn könnte das ganze Unternehmen scheitern. Der Phantomschmerz in der linken Hand war wieder da, ein sicheres Zeichen nervöser Hochspannung, und sein Kopf wollte bersten. »Mißerfolg ist ein Zeichen von Schwäche, Herr Oberst«, hatte Himmler mit eisigem Blick gesagt. Radl schauderte unwillkürlich. Hofer sagte zögernd: »Natürlich wären da auch noch die Iren.« »Was sagten Sie?«
»Die Iren, Herr Oberst. Die Irische Republikanische Armee.« »Völlig unbrauchbar«, winkte Radl ab. »Unsere Kontakte zur IRA sind längst hochgegangen, Sie wissen doch, nach dem Fiasko mit Goertz und den übrigen Agenten. Das Ganze war ein totaler Fehlschlag.« »Nicht völlig, Herr Oberst.«
Hofer öffnete einen Aktenschrank, zog einen dünnen Umschlag heraus und legte ihn auf den Schreibtisch. Radl hatte kaum einen Blick auf den Inhalt geworfen, als eine jähe Wandlung mit ihm vorging. Sein Auge funkelte vor Erregung.
»Aber natürlich!... Und er ist noch immer hier? An der Universität?« »Soviel ich weiß, ja. Gelegentlich übernimmt er auch Übersetzungsarbeiten.«
»Und wie nennt er sich jetzt?« »Devlin. Liam Devlin.« »Her mit ihm!« »Jetzt, Herr Oberst?«
»Sie haben richtig gehört. Vor Ablauf einer Stunde will ich ihn hier haben. Und wenn Sie ganz Berlin auf den Kopf stellen müssen. Und wenn Sie die Gestapo einschalten müssen.« Hofer schlug die Hacken zusammen und eilte hinaus. Radl zündete sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an und begann mit der Lektüre der Akte.
Er hatte mit seiner Bemerkung von vorhin ziemlich richtig gelegen. Seit Kriegsbeginn war jeder deutsche Versuch einer Zusammenarbeit mit der IRA kläglich gescheitert, wahrscheinlich der wundeste Punkt in
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