Der Advent, in dem Emma ihren Schutzengel verklagte
dem Rucksack, der neben ihr an der Wand lehnte. »Ich wäre mir auch böse, wenn ich du wäre. Und du hattest recht, was Uwe betrifft. Aber ich wusste nicht, dass dieser Mistkerl mich als Zeugin gegen dich benennt. Bei so was hätte ich doch nie mitgemacht!«
Emma schwieg. Sie schob sich an Sera vorbei, sperrte die Tür auf und betrat ihre Wohnung.
»Ich machâs wieder gut«, sagte Sera.
»Wie?«, fragte Emma, lieà die Tür aber offen stehen.
»Ich sage dir die Zukunft voraus. Ich glaube, das kannst du jetzt brauchen.«
Erschöpft stellte Emma die Tragetaschen auf den Küchentisch. »Wenn du dabei dieselbe Treffsicherheit an den Tag legst wie bei deiner eigenen Zukunft mit Doktor â¦Â«
»Ich habe meine Gabe seitdem etwas nachjustiert«, meinte Sera. Sie zog ihren russischen Uniformmantel aus und hievte den Rucksack auf einen der schlichten Holzstühle. »Setz dich!«
»Ich muss erst die Sachen in den Kühlschrank tun.« Emma verstaute die Lebensmittel im Kühlschrank, danach füllte sie Wasser in den Kocher, um einen Tee zu machen. Währenddessen holte Sera aus ihrem Rucksack ein Pendel, ein Kartenspiel und eine Glaskugel, die sie auf den Küchentisch stellte.
»Was ist das denn? Ein Goldfischglas?«, wollte Emma wissen.
»Meine Kristallkugel«, verkündete Sera. »Setz dich.«
»Ach, du gute Güte.« Emma sank auf einen der Stühle und betastete die Operationsnarbe unter der Jacke, die von der Anstrengung schwach zu pochen begonnen hatte.
Sera zauberte zwei Kerzen aus ihrem Rucksack, stellte sie auf den Tisch, zündete sie an und schaltete das Licht aus. »Bist du bereit?«
»Nein.«
»Entspann dich.«
Emma verkrampfte sich.
Seras Gesicht nahm einen konzentrierten Ausdruck an. »Zuerst sage ich dir etwas über dich. Du bist unglücklich. Du hältst dich für jemanden, der vom Pech verfolgt wird. Du fragst dich, ob du jemals erfolgreich oder glücklich sein wirst. Und wenn ja, wann.«
Emma sagte: »Das würde jetzt bestimmt eindrucksvoller wirken, wenn ich nicht deine beste Freundin wäre.«
»Du willst wissen, ob Mark zu dir zurückkommt.«
»Eigentlich nicht.«
»Ob ich in deiner Zukunft irgendeinen Mann sehe?«
»Auch nicht.«
»Was willst du dann wissen?«
Emma zuckte mit den Schultern. Sie sah zu, wie Sera die Tarotkarten auf dem Tisch ausbreitete, erst nebeneinander, dann eine zweite Reihe darüber. Die Karten zeigten bunte Symbole und Figuren: ein Skelett mit einer Sense, einen Gehängten, eine Gestalt mit einer Narrenkappe, einen Zauberer, eine Frau in einem reich verzierten Gewand. Einen Teufel. Einen Engel. Sera betrachtete sie mit gerunzelter Stirn, tauschte einzelne Karten aus oder legte sie in einer anderen Reihenfolge. Dabei gab sie beunruhigende Laute von sich, die dazu führten, dass Emma sich noch mehr verkrampfte.
»Ich habe gesagt, entspann dich«, wiederholte Sera.
»Ich weià nicht, wie das geht«, bekannte Emma. »Ich bin nie entspannt. Das weiÃt du doch.«
Sera knurrte, brummte und summte weiter, nickte hier und da oder zuckte kurz zusammen. Dann schien sie in eine Art Trance zu fallen. Sie griff nach dem Pendel und hielt es über die Karten â über die Herrscherin, den Narren, den Engel, den Tod und zuletzt über den Teufel, wo es heftig ausschlug. Sie schüttelte den Kopf. »Ich sehe Gefahr«, sagte sie mit verschleierter Stimme.
»Was für eine Gefahr?«, fragte Emma besorgt.
»Du hast einen Feind.«
»Die ganze Welt ist mein Feind.«
»Nein, der Welt bist du egal.« Sera drehte eine Karte um. »Die Karten sprechen von einer Gefahr für dich oder jemanden, der dir nahesteht. Ich sehe Zahlen. Die Gefahr kommt aus den Zahlen.«
»Was für Zahlen?«
»Zahlen: 1, 2, 3. Solche Zahlen.«
»Das sind Ziffern«, verbesserte Emma sie.
Sera wischte ihren Einspruch mit einer Handbewegung weg und sah sie durchdringend an. »Ziffern, Zahlen, Nummern â ich sehe jedenfalls, dass sie Gefahren bergen. Du hast die Mächte des Bösen herausgefordert!«
»Ich? Bin ich denen nicht auch egal?«
»Nein. Die Karten lügen nicht.«
»Wann habe ich das getan?«
»In der Vergangenheit.« Sera schob die Karten wieder zusammen. »Aber du wirst sie besiegen. Und du wirst die Welt verändern!«
Emma wollte aufstehen, um den
Weitere Kostenlose Bücher